La Palma Künstler: Porträt von Helmut Kiesewetter
„Kunst ist kein elitäres Ding,
sondern für alle da!“
Im Dreimonats-Rhythmus wechselt Helmut Kiesewetter seinen Wohnsitz zwischen Wuppertal und La Palma – aber nicht, um auf der Kanareninsel zu urlauben. Der Maler, Fotograf, Objekt- und Installationskünstler arbeitet immerzu und stellt seine Werke auch während seiner Aufenthalte auf der Isla Bonita aus. Das La Palma 24-Journal hat ihn und seine Frau Petra Herrmann im Kunstraum La Palma in Tazacorte besucht und Einblicke in sein Lebenswerk erhalten.
Helmut Kiesewetter ist auf der Insel kein Unbekannter. Er präsentierte seine Werke schon in verschiedenen Locations, und seine vorläufig letzte Ausstellung zeigte der Künstler Mitte September 2014 im neueröffneten Kunstraum La Palma in Tazcorte. Abstrakte Gemälde in drei verschiedenen, von Helmut Kiesewetter „erfundenen“ Techniken waren zu sehen: Arbeiten, denen Tipp-Ex Struktur verleiht, Bilder mit selbstgefertigten Farben aus der Cochenille-Schildlaus und seine mit feinem Pinsel aus Mussini-Ölfarben gezogene plastischen Gemälde. Wie war die Resonanz, Herr Kiesewetter? Die war sehr positiv. Die Leute interessierte vor allem die Geduld, die ich beim Malen habe. Darunter waren auch palmerische Stickerinnen, die wollten von mir erfahren, wie ich das mache. Ganz toll fand ich auch, dass Leute, die um die Ecke der Galerie in den Bananen arbeiten, teils sogar mehrfach wiedergekommen sind. Und ich habe außerdem einfach Menschen eingeladen, die ich auf der Straße getroffen habe. Denn ich bin der Meinung, dass Kunst für alle da sein muss und kein elitäres Ding ist.An die Basis ging Allround-Talent Helmut Kiesewetter schon immer. In den 1990er-Jahren beispielsweise war er an der Berliner Volksbühne als Dramaturg und Ideengeber des Obdachlosen-Ensembles Ratten07 tätig, wofür es 1995 den Förderpeis der Akademie der Künste gab. 1996 bündelte er seine Erfahrungen mit Menschen ohne festen Wohnsitz in der Eis-Installation „Helpi, Kalle und Lampi – Trier minus 37 Grad“. Diese Arbeit zeigte er in einer Gruppenausstellung in der Tuchfabrik in Trier. Dabei fror er Kleidung und Schuhe der drei Obdachlosen Helpi, Kalle und Lampi in einer großen Wanne ein, wodurch der Eindruck entstand, dass hier ein Körper in Eis liegt. Helmut Kiesewetter erklärt, wie er auf diese Idee kam: Kurz vor der Ausstellung sind in Trier drei Obdachlose erfroren. Mit meiner Installation wollte ich die zwischenmenschliche Kälte thematisieren, die so etwas zulässt. Bezeichnend war dann auch, dass den Obdachlosen Triers bei der Ausstellungseröffnung der Zutritt verweigert wurde, obwohl ich sie eingeladen hatte. Aber dann habe ich eingegriffen, und sie kamen jeden Tag. Für mich war das sozusagen ein künstlerischer Tauprozess als Gegenkraft zu struktureller Gewalt, Macht und sozialer Kälte. Diese Botschaft überbrachte Helmut Kiesewetter mit ähnlichen Eis-Installationen in Rom und im australischen Pearth. Die Welt als Gefängnis darstellen wollte Helmut Kiesewetter mit seiner Installation „Hört auf“ bei der sogenannten „Weltausstellung“ im Von der Heydt- Museum in Wuppertal. Hier zeigte er in einem Swimmingpool Videos von je einer Haftanstalt auf jedem Kontinent in der Abenddämmerung. Für die Arktis filmte er einen schmelzenden Eisberg, weil es dort zu diesem Zeitpunkt noch kein Gefängnis gab. Passt das zu einem abstrakten Künstler, Herr Kiesewetter?Mich interessiert die Wirklichkeit sehr stark, obwohl ich abstrakt arbeite. Durch die Materialien und meine Installationen versuche ich diese Wirklichkeit zu reflektieren. Bei meiner Ausstellung in der Sala O´Daly in Santa Cruz de La Palma im vergangenen Jahre hatte ich zum Beispiel eineinhalb Tonnen Salz zu einem Kegel aufgeschichtet. Die kristalline Struktur des Salzes korrespondierte mit der äußerst plastischen Oberflächenstruktur meiner Bilder und holte so ein Stück des wichtigen Lebensguts von La Palma - nämlich das Meersalz aus Fuencaliente - in die Ausstellung. Die Kombination von Installation mit Malerei oder auch mal mit Fotografie ist das Markenzeichen von Helmut Kiesewetter. Im Kunstverein Trier ließ der Künstler zehn Kubikmeter geschreddertes Altpapier auslegen, in dem die Füße der Besucher versanken und Kinder Purzelbäume schlugen. In einer anderen Ausstellung mussten die Gäste barfuß oder mit Überschuhen ein Wasserbecken betreten, in dem sich Fotografien spiegelten. Dabei hat Helmut Kiesewetter trotz ständig wechselnder Themen immer eines im Sinn:Ich will den Assoziationsraum für den Betrachter eröffnen, denn wir leben in einer Welt, in der mit Fotos und Filmen alles sehr konkret ausgesagt wird. Meine Kunst soll der Phantasie wieder mehr Raum geben. Abstrakte Kunst ist nicht eindeutig zu entschlüsseln, sie ist immer mehrdeutig. So wird zum Beispiel das im Kunstraum Tazacorte ausgestellte Watte-Bild von jedem Betrachter anders interpretiert: Watte steht ebenso für Verletzung und Blut wie für Wundversorgung und Zärtlichkeit – das ist eine Riesenspannweite für den Betrachter, und damit versuche ich zu arbeiten. Das Wattebild steht auch für die früheste Jugend von Helmut Kiesewetter in Thüringen. Beim Modellieren mit Schnee entdeckte er schon als Knirps seine Begeisterung fürs plastische Arbeiten, außerdem malte er von klein auf. Im Alter von neun Jahren floh Klein-Helmut mit seiner Familie in den Westen, mit zehn Jahren sah er das Dürer-Selbstporträt und begann bewusst zu zeichnen, mit 13 stand für ihn fest, dass er Maler werden will. Kiesewetter war in den 1960ern in der Studentenbewegung aktiv, verweigerte den Wehrdienst und studierte ab 1971 an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er nachhaltig von Joseph Beuys geprägt wurde. Nach dem Staatsexamen ging er in den Schuldienst, 1992 begann seine künstlerische Karriere mit der ersten Einzelausstellung. Inzwischen hat er seine Werke schon in aller Welt gezeigt, im Oktober 2014 reisten seine Gemälde nach St. Petersburg. Auch seine nächste Ausstellung auf La Palma steht schon fest, berichtet Helmut Kiesewetter:Im Januar 2015 werde ich im CIT-Tourismusbüro in Los Cancajos ausstellen – und zwar Fotos. Ich war schon als kleiner Junge mit der Kamera unterwegs, inzwischen fotografiere ich abstrakt. Das heißt, abhängig vom Fokus ist nicht mehr zu erkennen, um welches Objekt es sich handelt. Ich will nicht zeigen, was schon millionenfach abgebildet wurde, sondern wie bei meinen abstrakten Bildern auch hier die Phantasie des Betrachters ins Spiel bringen. Und warum zieht es Sie immer wieder nach La Palma zurück, Herr Kiesewetter?Das Licht spielt auf La Palma eine wesentliche Rolle, es ist großartig. Ich male im Freien in meinem Haus in Tazacorte und beziehe die verschiedenen Lichtstrahlungen des Tages mit ein. Weil es auf La Palma keine Luft- und Lichtverschmutzung gibt, kommen die Farben hier reiner zur Geltung, dadurch kann man hier als Maler die Bilder sehr fein steuern. La Palma ist aber auch deshalb so großartig, weil es so vielfältig ist. Man spürt die Energie des Vulkanischen der Insel. Außerdem habe ich hier die Cochenille als Malmittel entdeckt. Aus diesen Schildläusen, die auf den unzähligen Opuntien auf La Palma leben, stellt der Künstler je nach Alter der Tiere seit den 1990er-Jahren seine eigenen Farben vom Zinnoberrot über Violett bis zum fast vollständigen Schwarz her. Diese Art zu malen ergänzt seine Tipp-Ex- und Bleistift-Technik. Und die Kreativität des Malers geht noch weiter. Helmut Kiesewetter will nicht nur das Auge, sondern auch den Geruchssinn des Betrachters ansprechen:Tipp-Ex wird leicht trocken, und da hatte ich die Idee, ihn mit Pflanzenessenzen zu verdünnen. In der Ausstellung in Tazacorte war ein Zahnarzt, der hat sofort die Nelken gerochen. Auch bei meiner Eisinstallation in Trier habe ich Essenzen ins Wasser gemischt, und während des Schmelzvorgangs entwickelten sich die Düfte dann im Raum.Die Tipp-Ex- und Cochenille-Technik finden sich heute in den eher kleineren Werken. Denn inzwischen experimentiert Helmut Kiesewetter mit Ölfarbe, wobei immer größere und dreidimensionale Gemälde entstehen:Die Mussini-Ölfarben, die einen Harzanteil haben, kann man mit einem feinen Pinsel bis zu vier Zentimeter hoch ziehen. So setze ich auf eine stabile Leinwand Schicht auf Schicht, wobei die Plastizität immer stärker wird. Das dauert allerdings seine Zeit, je nach Bildgröße brauche ich mehrere hundert Stunden.Der Pensionär Helmut Kiesewetter hat die Zeit dafür. Und auch seine Frau will demnächst in den Ruhestand treten. Wobei von Ruhe nicht wirklich die Rede sein kann, so Petra Herrmann:Ich werde meine Apotheke in Düsseldorf verkaufen und kann meinen Mann dann während seiner dreimonatigen La Palma-Aufenthalte begleiten. Außerdem habe ich künftig mehr Zeit für den Kunstraum La Palma. Geplant ist, dass wir in der Galerie in Tazacorte viermal jährlich Ausstellungen präsentieren. Dabei wird moderne Kunst den Schwerpunkt bilden – wir wollen abstrakte oder auch gegenständliche Werke von Künstlern aus aller Welt dem breiten Publikum vorstellen und dabei auch ein bisschen das Auge schulen. Der Kunstraum La Palma soll mehr als Landschaften und Sonnenuntergänge bieten. Zur Präsentation anspruchsvoller Kunst haben Petra Herrmann und Helmut Kiesewetter das Erdgeschoss eines alten Gebäudes bei der Kirche in Villa de Tazacorte aufwändig renoviert. Eine Stahlkonstruktion garantiert jetzt das sichere Aufhängen selbst von schweren Objekten, LED-Strahler leuchten den Raum tageshell aus, und Petra Herrmann hat bei der Eröffnung des Kunstraums La Palma noch etwas anderes festgestellt:Bei der Vernissage hatten wir Musiker zu Gast, und die Akustik war ausgezeichnet. Deshalb tragen wir uns jetzt mit dem Gedanken, die künftigen Ausstellungen mit kleinen Konzerten zu untermalen.Offenbar scheut das Ehepaar Kiesewetter-Herrmann keine Kosten und Mühe, um ihre Privatgalerie zu einem Schätzchen für Kunstliebhaber zu machen. Was treibt Sie und ihren Mann an, Frau Herrmann?Wir machen das aus Liebe zur Kunst, und weil es einfach Spaß macht. Wir lernen im Kunstraum La Palma unglaublich tolle Menschen kennen - nicht nur Deutsche, auch Spanier und Menschen aus aller Herren Länder. Das ist auch eine gute Möglichkeit zur Völkerverständigung.Das La Palma 24-Journal dankt für das Gespräch und wünscht weiterhin viel Erfolg!Von La Palma 24