Regina Nössler aus Berlin und ihr La Palma-Thriller
„Ich schreibe keine Bauchschlitzerkrimis!"
Regina Nössler ist eine sehr fleißige Autorin: Seit 2004 verdient die studierte Theater- und Medienwissenschaftlerin ihre Brötchen mit dem Schreiben und hat seitdem im Ein-bis-Zwei-Jahres-Rhytmus Romane, Erzählungen und Thriller veröffentlicht. Die 52jährige lebt in Berlin, erholt sich immer mal wieder auf der Isla Bonita und zieht dabei auch ihre Bergstiefel an. So ist ihr Roman „Wanderurlaub La Palma“ entstanden, und wir werfen jetzt mal einen Blick in den Rucksack der kreativen Frau mit Hang zur Spannung.
Regina, in ihrem Thriller „Wanderurlaub La Palma“ geht es um eine Wandergruppe, die in einer organisierten Reise jeden Tag unter Anleitung eines Guide über die Insel stapft. Haben Sie die Gruppendynamik eines solchen Urlaubs schon mal selbst erlebt?Regina Nössler: Ich bin natürlich auch schon mal mit einer Gruppe gewandert, allerdings nicht auf La Palma, und habe mir ansonsten über diese organisierte Form des Wanderns auch viel erzählen lassen. La Palma habe ich immer allein beziehungsweise zu zweit erschlossen. Übrigens habe ich den Eindruck, fürs Wandern beginnt man sich erst ab ungefähr vierzig zu interessieren und findet es vorher eher langweilig. Wie kamen Sie dann auf die Ideefür den „Wanderurlaub“?Regina Nössler: Die begann sich wahrscheinlich bei meinem ungefähr zweiten Urlaub auf La Palma zu formen. Mir war auch schnell die Zusammensetzung dieser Gruppe klar, und die Entscheidung, auf welcher Insel es stattfinden soll, fiel dann, weil meine Verlegerin Claudia Gehrke seit Jahrzehnten eine La-Palma-Kennerin und -Liebhaberin ist – sie hat bereits eine ganze Reihe Bücher über La Palma im Konkursbuch-Verlag publiziert. So hatte ich die Möglichkeit, auch während des Schreibens in Berlin – also weit weg von La Palma – Claudia Gehrke Fragen stellen zu können, wenn ich mich zum Beispiel nicht mehr genau an eine Örtlichkeit erinnern konnte.Wie oft sind Sie schon auf La Palma eingeflogen ?Regina Nössler: Vier oder fünf Mal... Das allererste Mal auf der Ostseite, wo das Hotelzimmer einen direkten Blick auf die Start- und Landebahn des Flughafens bot. Seitdem wohne ich auf der Westseite in Puerto Naos. Ich komme nicht nur wegen der Recherche auf die Insel, sondern weil ich La Palma bezaubernd finde. Und heute, nach dem Buch, ist es so, dass ich mich La Palma noch viel mehr und auf eine besondere Art „verbunden“ fühle. Haben Sie auch Schattenseiten der Insel entdeckt, die Ihnen weniger gut gefallen?Regina Nössler: Ob es etwas auf La Palma gibt, was man nicht mag, kann man wahrscheinlich viel leichter beantworten, wenn man dort lebt oder zumindest teilweise lebt. Ich sehe La Palma aus der Perspektive der Touristin, und mir fällt spontan tatsächlich gar nichts ein, was mir nicht gefiele. Es beginnt schon mit der Anreise. Beim letzten Mal ging der Flug ganz früh morgens, und am Flughafen sammelten sich nach und nach alle Urlauber. Meine Lebensgefährtin und ich waren ziemlich entsetzt über ein paar Leute, die nachts um vier auf dem Airport begannen, billigen Sekt zu trinken, denn wir befürchteten schon, dass wir später im selben Flugzeug wie sie sitzen würden... Aber diese kreischenden, lärmenden, betrunkenen Personen stiegen Gott sei Dank alle in Flugzeuge nach Mallorca, Ibiza und Antalya. Die La-Palma-Urlauber waren ruhig und friedlich und trugen, so wie wir, bereits ihre Wanderkleidung. In der Tat gibt es auf La Palma keine Szene wie am Ballermann...Regina Nössler: ... ja, dieser winzige Fleck im Atlantik, kommt mir unendlich weit weg von zu Hause vor, was für mich bedeutet, den Alltag dann wirklich für zehn oder vierzehn Tage vergessen zu können. Ich finde die Landschaft atemberaubend schön, auch manchmal sehr wild und beängstigend. Und natürlich der Atlantik! Der Atlantik in seinen unendlich vielen Schattierungen... Übrigens habe ich, als Stadtkind, bei einem La-Palma-Urlaub tatsächlich zum ersten Mal in meinem Leben die Milchstraße am klaren, hinreißenden Himmel gesehen. La Palma ist keine Partyinsel – zumindest habe ich sie nie so erlebt –, sondern wirklich ein Ort der Ruhe, der Kontemplation. Soweit ich weiß, bereitet aber genau das, was ich schätze, dem Tourismus Probleme. Leider! Ich beschäftige mich auf La Palma mit dem Üblichen: viel Wandern, manchmal Schwimmen, was in Puerto Naos gut geht, wobei ich genau hier übrigens, an dem kleinen Strand, obwohl ich eine sehr gute Schwimmerin bin, allergrößten Respekt vor den Wellen gelernt habe. Der oft mangelnde Respekt vorm wilden Atlantik und den Warnflaggen bei den Touristen kommt ja auch im „Wanderurlaub“ zur Sprache. Überhaupt ist das Buch – entgegen Ihren privaten Eindrücken – keine Ach-wie-schön-ist-La-Palma-Prosa, sondern ein Krimi mit Psycho-Touch, indem es in erster Linie um Beziehungen, voneinander genervten Paaren, um Midlife-Krisen, Angst vor der Zukunft und Image-Verlust geht. Ein Kritiker meinte, Sie bewegten sich auf Highsmith-Territorium. Wie ordnen Sie Ihre Arbeit ein?Regina Nössler: Der Highsmith-Vergleich in dieser Rezension freut mich natürlich riesig! Und genau so würde ich meine Krimis auch selbst beschreiben: Es sind psychologische Kriminalromane und eben keine „Bauchschlitzerkrimis“, wie man die blutrünstigen Serientäter-Werke im Fachjargon nennt, die aus Sicht eines Ermittlers gelöst werden. Mich hat schon immer interessiert, auch bei früheren Büchern, was Menschen bewegt, was sie sich gegenseitig antun, was sie voreinander verbergen, auch: Welche Seelenabgründe sie zu verstecken versuchen. Im Krimi beziehungsweise Thriller kann man dies als Autorin in ganz besonderer Weise tun, weil es hier eben auch um ein Verbrechen geht. Und Sie benennen in Ihrer Frage etwas, das mir beim „Wanderurlaub“ in der Tat sehr wichtig war – natürlich nicht ausschließlich, aber auch –, die Angst fast aller Teilnehmer aus der Wandergruppe vor der Zukunft, berufliche Sorgen, die Abstiegsängste der Mittelschicht, das ist eine Art Subtext unter dem Wandergeschehen. Regina, Sie sind eine äußerst fleißige Autorin – inzwischen ist ihnen ja schon wieder ein Thriller aus der Feder geflossen...Regina Nössler: Richtig - meine letzte Veröffentlichung heißt „Endlich daheim“ und erschien im Herbst 2015. Auch dieser Thriller ist nicht als blutiges Gemetzel zu verstehe, sondern es geht eher um eine besondere Form von Suspense, um eine Bedrohung, der die Hauptfigur ganz direkt ausgesetzt ist. „Endlich daheim“ beschreibt einen schrecklichen Albtraum, eine Urangst: Kim, die fast 14jährige Protagonistin, kommt aus der Schule zurück und muss feststellen, dass ihre Straße und ihr Haus zwar noch so aussehen wie immer, sich aber trotzdem etwas Grundlegendes verändert hat: Ihr Schlüssel passt nicht mehr, und an ihrem Klingelschild steht plötzlich ein anderer Name. Der Akku ihres Handys ist leer, ihre alleinerziehende Mutter nicht zu Hause, und Kim, eine Außenseiterin, hat keine Freunde, an die sie sich wenden könnte. Und so durchlebt sie eine nächtliche Odyssee und lernt die rauen Seiten Berlins kennen. Ist schon wieder ein neuer Krimi in Arbeit?Regina Nössler: Das nächste Buch wird Anfang 2017 erscheinen. Ich arbeite auch als Lektorin, ob ich also Zeit für meine eigenen Bücher habe, hängt davon ab, ob ich einen Lektoratsauftrag habe und wie aufwendig sich dieser gestaltet. Wenn ich Zeit für meine eigenen Bücher habe, stehe ich morgens auf und setze mich beim ersten Kaffee an den Schreibtisch und arbeite, bis ich mittags müde werde, dann kümmere ich mich um die Erfordernisse des Alltags, um nachmittags weiterzuschreiben. Wenn es gut läuft bis in die Nacht hinein...Und das klappt immer?Regina Nössler: Natürlich nicht zu hundert Prozent, aber es gilt der alte Grundsatz: Die Ideen kommen bei der Arbeit. Was man als Autorin meines Erachtens vor allem lernen muss, ist, nicht auf die großartige Inspiration zu warten, sondern sich einfach hinzusetzen und anzufangen. Schreiben hat insofern nicht nur mit Talent zu tun, sondern auch mit Handwerk und vor allem mit Disziplin. Sitzen Sie nur im stillen Kämmerlein oder gibt es jemanden, der Ihnen Feedback im Schreibprozess gibt?Regina Nössler: Schreiben an sich ist ja eine sehr einsame Tätigkeit, aber zwischendurch ist es, zumindest für mich, durchaus nötig, mit jemandem darüber zu reden. Womit ich wieder zu meiner Verlegerin Claudia Gehrke und ihren großen La-Palma-Kenntnissen komme, denn als ich „Wanderurlaub“ schrieb, habe ich es sehr genossen, mich mit ihr zwischendurch immer wieder austauschen zu können.In jungen Jahren schrieben Sie ja vorwiegend Gedichte, ab Mitte 20 wagten Sie sich langsam an Prosa, und mit Ende zwanzig veröffentlichten Sie Ihren ersten Roman. Ihre jüngsten Bücher waren – bis auf einen Kinderroman – alles Thriller. Was fasziniert Sie an diesem Genre?Regina Nössler: Es begann ganz einfach damit, dass ich auch privat gerne Krimis lese. Mir gefällt an diesem Genre viel. Zunächst mal, dass die Bücher auch unterhaltsam sind und keine verquasten, langweiligen Texte ohne Handlung, die „literaturpreiswürdig“ sein wollen. Ein gelungener Krimi bietet für mich Unterhaltung, aber auch Tiefgang und literarischen Genuss. Zum einen durch eine gute Schreibe, zum anderen, indem er neben dem Verbrechen zum Beispiel Themen wie gesellschaftliche Missstände, Liebe, Hass, Fremdenhass, Lebensängste oder psychische Absonderlichkeiten einbaut. Ein Krimi kann hochpolitisch sein!Last but not least, Regina: Wird es ein weiteres Buch über La Palma geben?Regina Nössler: Das würde ich zwar gerne schreiben – auf diese Weise könnte ich immer vor mir rechtfertigen, warum ich unbedingt wieder nach La Palma in den Urlaub muss... Aber da ich zurzeit ja Krimis schreibe, in nächster Zeit wahrscheinlich nicht, denn so viel Verbrechen auf La Palma ist doch eher unrealistisch. Aber ich würde ein weiteres Buch, das von La Palma handelt, nicht grundsätzlich ausschließen.Regina, wir danken Ihnen für Ihre Ein- und Ausblicke und wünschen Ihnen noch viele schöne Wanderurlaube auf der Isla Bonita!Von La Palma 24