Er ist einer der renommiertesten Experten für die Kultur der kanarischen Ureinwohner: Felipe Jorge Pais Pais. Der 1962 in El Paso geborene Historiker, Archäologe und Forscher hat viele Aufgaben - unter anderem leitet er die Abteilung für historisches Erbe im Cabildo von La Palma, und er ist Direktor des Ureinwohnermuseums Museo Arqueológico Benahoarita (MAB) in Los Llanos. Wer könnte also besser Auskunft geben, wenn es um die Menschen geht, die vor der Eroberung durch die Spanier im 15. Jahrhundert auf der Isla Bonita lebten? Wir haben mit dem Hüter des Erbes der Benahoaritas gesprochen.
Inselarchäologe Jorge Pais:
"Die Petroglyphen sind einfach spektakulär"
Die Ureinwohner nannten sich Benahoaritas und ihre Insel Benahoare – mein Land. Weil sie jedoch keine Schrift kannten, sind heute nur noch Teile ihrer Sprache und die sogenannten Petroglyphen überliefert. Wieviele dieser Felsritzungen gibt es auf La Palma, Señor Pais?Jorge Pais: Mehr als 500 – 300 davon habe ich entdeckt. Fast die Hälfte der bekannten Fundstätten liegen auf der Gemarkung von Garafía, gefolgt von El Paso mit um die 100 Grabados.Warum konzentrieren sich die Symbole der Ureinwohner ausgerechnet in Garafía?Jorge Pais: (lacht) Das wüsste ich auch gerne, und würde es gerne erklären. Denn die Benahoaritas haben ja überall auf der Insel gesiedelt. Nicht wirklich erklärbar sind bis heute ja auch die Bedeutungen der in Felsen und Steine geschlagenen geometrischen Formen wie Spiralen, Kreise, Linien. Und deshalb werden darüber immer wieder Bücher geschrieben...Jorge Pais: Veröffentlichungen von Nicht-Archäologen sind mit Vorsicht zu genießen. Meiner Meinung nach sind das keine ernsthaften wissenschaftlichen Arbeiten. Da wird immer wieder spekuliert, dass die Zeichen auf Hirtenpfade oder Wasserläufe hinweisen, aber das ist nicht neu. Bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren haben wir das als Möglichkeit gesehen, und ich habe auch schon Arbeiten zu diesem Thema veröffentlicht. Es könnte auch sein, dass Petroglyphen wie beispielsweise die in Belmaco entstanden, nachdem die Benahoaritas berauschende Mittel wie etwa ein Präparat aus der Mocanera-Frucht bei magisch-religiösen Zeremonien eingenommen hatten, um den Kontakt mit den Göttern zu erleichtern - dann wären die Felsgravuren-Ansammlungen auf der Insel sozusagen Heiligtümer, wo sich die Ureinwohner zu Riten und Ritualen trafen... Grundsätzlich jedoch würde ich mich nicht anmaßen zu sagen, dieses Grabado bedeutet das und dieses das. Das Problem ist, dass man manchmal nur einzelne Stationen mit nur einer Felsritzung sieht und dann wieder welche mit sehr vielen. Eigentlich ist es so, dass wir immer weniger verstehen, je mehr wir finden. Denn bei den Petroglyphen muss man viele Dinge berücksichtigen, immerhin lebten die Benahoaritas circa 1.500 Jahre auf der Insel, in dieser langen Zeitspanne haben sich Fauna, Flora und das Leben ständig verändert, und wir versuchen mit unserer heutigen Mentalität zu analysieren, was diese Menschen einst gemacht haben. Deshalb kommt es immer auf den Kontext an, und ich begreife nicht, dass sich Leute ohne Vorbildung an dieses Thema wagen, denn die Archäologie ist eine sehr komplexe Wissenschaft. Für mich als Archäologie ist es einfach wichtig, dass die Grabados spektakulär und sehr schön sind. Deshalb sind sie ja auch ein Magnet für Touristen, aber Sie mahnen ja immer wieder, dass die Petroglyphen besser geschützt werden müssen. Zum Beispiel haben Sie die unkontrollierten Besucherströme im Süden am Roque de Teneguía moniert.Jorge Pais: Claro, ich war mal dort und habe mitgezählt. Innerhalb von einer halben Stunde streiften circa 100 Leute durch dieses Gebiet mit seinen archäologischen Schätzen. Schon 2001 hat das Cabildo ein Projekt für diesen Bereich im Süden der Insel vorgelegt, aber passiert ist seitdem nichts. Dabei wäre es ganz einfach auszuführen und würde nur circa 18.000 Euro kosten, man müsste nur einen Weg mit Erklärungstafeln anlegen. Auch in Las Tricias auf dem Wanderweg von Buracas spazieren jeden Tag hunderte von Leuten entlang, und es wäre nötig, die Besucherströme zu kontrollieren und in Las Tricias ein Besucherzentrum zu bauen. Aber das hängt vom Willen der Politiker ab... Es gibt jedes Jahr Fonds der Europäischen Union für Dinge dieser Art, dafür muss man sich halt interessieren. Unser archäologisches Erbe ist einmalig und auch ein Argument für den Tourismus. Deshalb müssen wir es erhalten und schützen, denn wir können nicht mit Sonne-und-Strand-Urlaubszielen konkurrieren. Machen die Touristen wirklich viel kaputt?Jorge Pais: Nein, das sind Ausnahmen. Die meisten Schäden verursachen Menschen von der Insel. Aber auch das ist eine absolute Minderheit – 99,9 Prozent der Leute respektieren die Fundstätten, und für mich steht fest, dass die Touristen sehr respektvoll mit unseren Kulturgütern umgehen. Das Problem ist, dass nur eine Person innerhalb von fünf Minunten einen immensen Schaden anrichten kann.Was zum Beispiel?Jorge Pais: Grafities sind auf La Palma sowas wie Kultur, das heißt, die Leute schreiben gern mal ihre Namen oder malen Herzen auf die Steine mit den Petroglyphen. Manche nehmen auch ein Stück davon mit nach Hause. Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe von Eltern und Schulen, den Wert der Ureinwohner-Artefakte und unserer Kultur zu vermitteln. Die Zukunft des archäologischen Erbes der Benahoaritas liegt in den Händen der heutigen Kinder, und je früher sie mit diesem Thema konfrontiert werden, umso besser. Deshalb veranstalte ich auch immer wieder Führungen mit Schülern, zum Beispiel durch das Besucherzentrum und den Park von La Zarza oder im Archäologiepark von Belmaco – manchmal sind die Kinder erst fünf Jahre alt.Sie sagten, dass Stücke von den Fundstätten teils mit nach Hause genommen werden. Aber ist das nicht strafbar?Jorge Pais: Ja, Artefakte im Privatbesitz sind verboten, das heißt, auch Funde muss man melden. Man macht sich strafbar, wenn man sie zuhause hat, wenn man sie verkauft, oder wenn man mit ihnen reist. Auch Touristen werden bestraft, wenn sie das tun. Das ist wie der Handel mit Kunst oder Rauschgift, und es gibt drei Stufen der Ahndung von leicht über schwer bis sehr schwer – das geht bis hin zu Strafen in Höhe von 600.000 Euro oder sogar Gefängnis. Archäologische Funde gehören auch auf La Palma allen, das heißt, sie kommen ins MAB in Los Llanos, damit sie von allen interessierten Menschen betrachtet und studiert werden können. Im Blick auf Funde hört man ja immer wieder, dass die Leute Angst haben, sie zu melden. Insbesondere, wenn sie gerade am Bauen sind, befürchten sie einen Stopp der Arbeiten...Jorge Pais: In den vergangenen 20 Jahren, seitdem ich beim Cabildo arbeite, hat sich diese Situation sehr verbessert. Die meisten Leute melden, wenn sie ein Relikt finden. Und es passiert ja auch nichts. Es stimmt überhaupt nicht, dass wir die Baustelle dann lahm legen oder dass wir enteignen – das sind Gerüchte, dafür gibt es kein einziges Beispiel. Nur einmal gab es einen Mann in Las Manchas, der wollte sein Haus direkt über einer Fundstätte bauen – wir haben ihn gebeten, das Gebäude um zehn Meter zu verrücken, und das hat er gemacht. Erst kürzlich wurde uns zum Beispiel ein Grabado in Tijarafe gemeldet, das haben wir abgeholt und entschieden, es ins MAB in Los Llanos zu bringen. Traurig ist, wenn Leute aus unbegründeter Angst wissentlich Funde zerstören. Da verlieren wir Informationen, und das darf doch nicht passieren. Um die bisher gesammelten Informationen über das Leben der Benahoaritas einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, gibt es die archäologischen Besucherzentren La Zarza im Nordwesten, Belmaco im Süden, Tendal im Nordosten und demnächst soll das Centro Benahauno in El Paso, also in der Inselmitte, eröffnet werden...Jorge Pais: Und das ist noch nicht alles, wir planen weitere Besucherzentren, zum Beispiel in einer alten Mühle in Puntagorda. Auf diese Art und Weise erhalten wir auch alte Bauten wie Windmühlen.Als nächstes wird nun das Centro de Visitantes in El Paso eröffnet. Warum heißt es Benahauno?Jorge Pais: Das ist der Name, den die Benahoaritas dem Bejenado gaben. Wenn man auf der Terrasse des Besucherzentrums in El Paso Abajo steht, sieht man diesen Berg, der für die Ureinwohner der Insel sehr wichtig war. Können Sie uns schon vorab einen kleinen Einblick geben?Jorge Pais: Das Gebäude besteht aus zwei Stockwerken, wobei sich im Obergeschoss eine Ausstellung mit Erklärungstafeln und einem Video findet. Dabei geht es um das Leben der Benahoaritas in den vier Kantonen Aceró, Aridane, Tihuya und Guehebey, die sich auf dem heutigen Gebiet von El Paso erstrecken. Außerdem gibt es noch einen Kurzfilm von Mercedes Afonso mit dem Titel Tanat zu sehen. Der große Star des Benehauno-Zentrums sind jedoch die Petroglyphen von El Paso - hier gibt es rund 100 Fundstätten, wobei die schönsten und interessantesten La Fajana, El Verde, Lomo de Tamarahoya und Lomo Gordo sind. Zusätzlich dazu fördert die Gemeinde ein Projekt, das geführte Touren vom Besucherzentrum zu diesen und anderen archäologischen Highlights der Gegend vorsieht. Señor Pais, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und wünschen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer wichtigen Arbeit für die Insel!Wer sich für die Besucherzentren auf La Palma interessiert, findet in unserer Zusammenfassung die ganze Bandbreite. Denn Centros de Visitantes gibt es nicht nur für Geschichte.Eine umfassende Zusammenfassung über das Leben der Ureinwohner von La Palma bietet das Museo Arqueológico Benahoarita (MAB) in Los Llanos.Von La Palma 24