Der Negra Tomasa unter den Turban geblickt:
Día de Los Indianos: Die Heinzelmännchen vom „weißen Inferno“
Am Rosenmontag, 11. Februar 2013, wirbelt in Santa Cruz wieder einmal tonnenweise Babypuder durch die Luft. Der "Día de Los Indianos" ist so verrückt, dass er im vergangenen Jahr rund 65.000 „Indianer“ in die Hauptstadt der Kanareninsel La Palma lockte – 2013 werden noch mehr erwartet.
Bei dem weißen Spektakel nehmen die Palmeros ihre „Indianos“ genannten Vorfahren auf die Schippe, die einst nach Südamerika auswanderten und ihren dort erworbenen Reichtum bei der Rückehr nach La Palma gnadenlos zur Schau stellten. So flanieren die „Indianos“ am Karneval in weißen Roben im Kolonialherrenstil der 1950er-Jahre durch die Straßen, manche verkleiden sich als Sklaven, und aus Schrankkoffern quellen Dollarscheine. Der Startschuss für das „Polvo“-Inferno fällt jedes Jahr morgens im Hafen, wenn das Boot der „Indianos“ im Hafen von Santa Cruz anlandet. Anschließend ziehen die Hauptfiguren durch die Straßen der historischen Altstadt und schlussendlich wird auf den verschiedensten Plätzen zu karibischen Rhythmen getanzt und gefeiert bis der Arzt kommt. Dieses zentrale Event des palmerischen Karnevals will freilich organisiert sein. La Palma 24 hat hinter die Kulissen des „Día de Los Indianos“ geschaut... ... und die „Negra Tomasa“ in der „Taller de Costura Municipal“ entdeckt. Die städtische Schneiderwerkstatt hat vorm „Día de Los Indianos” alle Hände voll zu tun – gerade wird Victor Lorenzo Díaz Molina „behandelt“, der die Karnevalsleitfigur der „Negra Tomasa“ vor 20 Jahren erfunden hat und von allen nur „Sosó“ gerufen wird. Sein Problem: Der Turban wackelt, und Schneiderin Raquel Paz Fernández muss den Kopfschmuck und obendrein noch den gigantischen Büstenhalter der "Negra Tomasa" anpassen. Gar nicht so einfach, denn Stillhalten ist nicht unbedingt Sosós Sache: „Die machen mich nervös“, lacht er. Sosó hat Hummeln im Hintern. Nur so kann er mit seinen knapp 63 Jahren den langen „Día de Los Indianos“ durchfeiern: „Morgens um 9 Uhr schminke ich mich“, freut er sich schon auf seinen Auftritt am 11. Februar. „Und dann bin ich bis gegen 2 Uhr nachts unterwegs.“ Seine Frau Olga toleriert die Karnevalssucht ihres "Negra-Tomasa"-Mannes, obwohl sie selbst das weiße Inferno meidet und zuhause bleibt: „Da ist es ruhiger, ich mag den Babypuder nicht“. Weil die hierzulande „Polvo“ genannte weiße Pampe natürlich auch an Sosós Kleidern hängt und fröhlich runterrieselt, darf er nach seinem Auftritt im karibischen Hexenkessel nicht einfach so ins Haus. „Zuerst muss er sich ausziehen, dann unter die Dusche, und dann darf er ins Bett“, schmunzelt Olga. Doch nicht nur die „Negra Tomasa“ und der Karneval halten die Schneiderwerkstatt der Stadt Santa Cruz auf Trab. Das ganze Jahr über fertigen die kreative Raquel und ihre nähmaschinen-begeisterte Kollegin Nebel Acosta Pérez Kostüme für Veranstaltungen wie etwa den „Tag der Heiligen Drei Könige“, für Theatervorstellungen und vieles mehr. In den Wochen vor Karneval gibt Raquel außerdem Kurse für Leute, die ihre Indianos-Kleider, Hüte und Accessoires selbst schneidern wollen. Ihr wertvollster Schatz: Ein Katalog mit Originalvorlagen von 1956. „Wir stellen Outfits der Kolonialherren dieser Epoche her, keine Karnevalskostüme“, erklärt die Expertin. „Der Día de Los Indianos bietet den Frauen die Gelegenheit, sich schick zu machen.” Bühnenarbeiter packen anIn elegantem Weiß oder Beige mischen auch die Männer der städtischen Schreinerei und Schlosserei in der „Polvo“-Schlacht mit. Vor allem aber sind sie verantwortlich, dass der „Día de Los Indianos” im wahrsten Wortsinn problemlos über die Bühnen geht, denn die werden von den Männern um Marina Ferrara Rodríguez errichtet: „Für die verschiedenen Karnevals-Aufbauten brauchen wir insgesamt circa 3 Monate“, berichtet der Chef-Carpintero. „Außerdem bauen wir die Sardine, die sieht jedes Jahr anders aus, 2013 machen wir sie aus Eisen und Papier, und sie wird Schuppen haben.“Marta Poggio - Frau für alle (Not)-FälleDie „Beerdigung der Sardine“ setzt traditionell den Schlusspunkt auf den palmerischen Karneval. Wenn der Fisch heuer am Mittwoch, 13. Februar, verbrannt und das wilde Treiben damit beendet wird, dürfte auch Marta Poggio durchatmen. Immerhin organisiert die „Consejalía” für Fiestas der Stadt Santa Cruz de La Palma die Musikgruppen und außerdem die Sicherheits-, Notfall- und Präventionsmaßnahmen sämtlicher Karnevalsveranstaltungen. Und das wird vor allem am „Día de Los Indianos“ immer komplizierter: „Früher fand der nur auf einem Platz statt”, erklärt Marta. „Aber weil immer mehr Besucher kamen, konnte man sich schließlich nicht mehr bewegen, und so haben wir die Events inzwischen auf mehrere Plätze der Stadt verteilt.“ Entspannung 2013So spielt 2013 die Musik auf der Plaza Alameda, auf der Plaza José Mata, in der Avenida Marítima und auf dem Karnevalsgelände. „Alle Bands kommen aus La Palma“, berichtet Marta. „Tagsüber spielen sie kubanische Rhythmen, ab 9 Uhr nachts bis morgens um 6 Uhr ertönt palmerische Musik.“Zwei Sanitätszelte stehen bereitWeil beim „Día de Los Indianos“ nicht nur getanzt, sondern auch ordentlich gebechert wird, hat Marta Poggio außerdem ausreichend Erste Hilfe mobilisiert. Die Ambulanzfahrzeuge La Palmas stehen in Bereitschaft und - weil die nicht ausreichen - zudem zwei Notarztwagen von den anderen Inseln. Rund 20 Mitarbeiter des Roten Kreuzes warten in einem Zelt am Hafen und in einem kleineren Zelt an der Plaza de San Fernández auf die Narren, die da kommen werden. „Zum Glück geht es meistens sehr zivil zu“, weiß die Fiesta-Organisatorin aus Erfahrung. „Es gibt aber schon mal Probleme mit dem Alkohol.“ Einmal, so Marta, sei ein „Indiano“ sogar zweimal im Erste-Hilfe-Zelt gelandet. Beim ersten Mal wurde ihm der Magen ausgepumpt, dann sei er wieder auf die Fiesta, und schließlich ein zweites Mal mit den gleichen komatösen Symptomen wie zuvor eingeliefert worden. Damit im karibischen Hexenkessel des Rosenmontags von Santa Cruz alles im Rahmen bleibt, schickt Marta jede Menge Aufpasser ins Gewühl. Guardia Civil, Policia Nacional, Policia Local und Spezialeinheiten der Polizei sind ebenso im Einsatz wie die vielen freiwilligen Helfer des Zivilschutzes AEA und die „Bomberos“, die palmerische Feuerwehr.Ohne Freiwillige geht es nichtApropos Freiwillige: Hauptstadt-Bürgermeister Sergio Matos Castro betont, dass der „Día de Los Indianos“ ohne sie nicht möglich wäre: „Da sind natürlich die unzähligen Menschen, mit denen die Stadt zusammenarbeitet. Der „Día de Los Indianos“ fing ja auch mit kleinen Gruppen an, es ist ein Fest der Stadt, ihrer Einwohner und deren Freunde.“ So trägt zum Beispiel die „Comunidad de Los Auténticos Indianos ganz enorm zum Gelingen der weißen Fiesta bei. Dazu haben sie unter www.indianos.info eine Plattform eingerichtet, die Informationen und Blogs bietet. „Unsere Mitglieder können hier Freundschaftsgruppen bilden sowie Fotos und Videos austauschen“, laden die „echten Indianer“ zum Mitmachen ein. „Unsere Website ist eine Plattform für alle, die glauben, dass die Indianos von La Palma einzigartig und nicht zu imitieren sind – sie soll ein Treffpunkt für Indianos aus aller Welt sein.“ Auf dieser Website finden sich auch Accessoires, wie etwa T-Shirts für den “Día de Los Indianos“ mit Motiven des Künstlers Victor Jaubert, der das diesjährige Plakat entworfen hat. Letzteres ist übrigens während der Fiesta am Stand des Ayuntamientos von Santa Cruz zusammen mit Ansteckern und Schlüsselanhängern mit Indianos-Motiven erhältlich. Alle Ideen von Sponsoren und Gewerbetreibenden können wir hier unmöglich aufzählen. Deshalb sei nur kurz erwähnt, dass Dorada wie erstmals im vergangenen Jahr auch 2013 wieder eine auf 85.000 Flaschen limitierte Sonderedition mit Motiven der „Negra Tomasa“ auf den Markt bringt. Und noch ein witziger, neuer Einfall: Das Restaurant „Casa Indiano´s” hat jetzt die „Ruta del Indiano“ ins Leben gerufen. Auf diesem „Indianer-Pfad“ wird zukünftig immer donnerstags ein Nachtspaziergang durch Santa Cruz mit kulturellen und astronomischen Infos sowie anschließendem Schlemmen veranstaltet. Der „Día de Los Indianos” macht inzwischen international Schlagzeilen. Und es gibt eine Person in der Stadtverwaltung von Santa Cruz, die dafür sorgt, dass keine Information verlorengeht: Víctor Hernández Correa, seines Zeichens „Técnico del Servicio de Patrimonio Histórico“, dokumentiert die weiße Fiesta Jahr für Jahr bis ins Detail. Ziel: Der „Día de Los Indianos” soll das vom spanischen Staat verliehene Prädikat „Interés Turistico Regional“ erhalten. Victor erklärt den Grund: „Diese Auszeichnung fördert das Prestige dieser Veranstaltung und stellt sie unter Schutz."Von La Palma 24
Hola, das im Artikel genannte Alter von Soso ist 10 Jahre zu wenig. Aktuell ist er 82, d.h. 2013 muss er schon knapp 73 gewesen sein – nicht knapp 63. Und er wird ja nicht müde :-))