Im Dreimonats-Rhythmus wechselt Helmut Kiesewetter seinen Wohnsitz zwischen Wuppertal und La Palma – aber nicht, um auf der Kanareninsel zu urlauben. Der Maler, Fotograf, Objekt- und Installationskünstler arbeitet immerzu und stellt seine Werke auch während seiner Aufenthalte auf der Isla Bonita aus. 20 seiner neuesten Gemälde bilden bis zum 30. März 2019 die Hauptausstellung in der Galeria García de Diego in Los Llanos. Dort haben wir den Mann, der nicht nur malen kann, getroffen.
Helmut Kiesewetter: Maler, Fotograf und mehr
„Kunst ist kein elitäres Ding, sondern für alle da!“
Helmut Kiesewetter ist auf der Insel kein Unbekannter. Er präsentierte sein Schaffen schon in verschiedenen Locations, darunter die Casa Salazar in Santa Cruz und natürlich der Kunstraum La Palma. Letzteren betrieb er mit seiner Frau Petra Herrmann bis 2018 in Tazacorte, dann schloss die private Galerie. Aber es geht dennoch weiter, betont Helmut Kiesewetter:Die Idee Kunstraum bleibt, das heißt wir machen noch Ausstellungen, aber nicht mehr so viele und an anderen Oten. Auch die Filmwoche findet 2019 wieder statt: Parallel zur Berlinale veranstalten wir die Tazacortiale in der Casa de la Cultura, wobei dieses Jahr Streifen von Ingmar Bergman im Mittelpunkt stehen. Wir sind jetzt flexibel, weil wir den Raum in Tazacorte nicht länger mieten. Diese Kosten waren übers Jahr hinweg einfach zu hoch, denn wir haben ja nur Kunst gezeigt und keine Kunst verkauft. Außerdem wollen wir künftig kürzertreten und nur noch eine Ausstellung pro Jahr organisieren. Wir präsentierten in Tazacorte ja seit 2014 zum Teil KünstlerInnen aus ganz Europa, fuhren zu ihnen, suchten Werke aus und transportierten sie nach La Palma. Das war schon aufwändig, und meine Frau Petra und ich sind schon im Rentenalter...Kein Grund jedoch für das Allround-Talent Kiesewetter, die Hände in den Schoß zu legen. 20 Bilder hat er in den vergangenen drei Jahren gemalt und zeigt sie nun in der Galeria Garcia de Diego in Los Llanos. Bis zum 30. März 2019 hängen die mit feinem Pinsel aus Mussini-Ölfarben gezogenen plastischen Werke im Eingangsbereich der schönen Galerie in der Calle Real 48 - anschließend wandert ein Teil von ihnen bis Ende dieses Jahres in den hinteren Bereich. Diese Technik hat Helmut Kiesewetter erfunden, aber diesmal stechen drei seiner Gemälde besonders ins Auge:Die habe ich mit 24-karätigem Gold auf neun Zentimeter dickes und 40 Jahre gelagertes Holz gemalt. Das ist in dieser Größe sehr rar, aber ich habe einen Südtiroler Holzschnitzer und Vergolder gefunden, der mir dieses Holz präpariert hat. Auf diese goldene Basis male ich mit Mussini-Ölfarbe, wie man es schon im Mittelalter getan hat. Allerdings greife ich diese Technik in völlig neuer Form auf und setze ein abstraktes Bild auf den Goldgrund. Inspiriert haben mich dazu meine Ausstellung 2015 in St. Petersburg und die Ikonen in der russischen Kunst. Das Tupfen und Ziehen mit Mussini-Ölfarben, das je nach Bildgröße mehrere hundert Stunden dauern kann, ist übrigens nicht die einzige von Helmut Kiesewetter erfundene Technik. Im Laufe seines langen Schaffens präsentierte er außerdem Bilder, denen Tipp-Ex Struktur verleiht und Gemälde mit selbstgefertigten Farben aus der Cochenille-Schildlaus, die er auf La Palma als Malmittel entdeckt hat. Seit den 1990er-Jahren stellt der Künstler aus den tierischen Bewohnern der Opuntien Farben von Zinnoberrot über Violett bis zum fast vollständigen Schwarz her. Und bei der Tipp-Ex-Technik hatte Helmut Kiesewetter eine Idee, die den Geruchssinn des Betrachters ansprechen soll:Tipp-Ex wird leicht trocken, und so kam ich darauf, ihn mit Pflanzenessenzen zu verdünnen. In der Ausstellung im Kunstraum in Tazacorte war ein Zahnarzt, der hat sofort die Nelken gerochen. Auch bei meiner Eisinstallation in Trier habe ich Essenzen ins Wasser gemischt, und während des Schmelzvorgangs entwickelten sich die Düfte dann im Raum.Helmut Kiesewetter malt jeden Tag. Außerdem ist er immer mit der Kamera unterwegs. Und natürlich drückt er dabei nicht einfach so auf den Auslöser, sondern macht im wahrsten Wortsinn Foto-Grafie - und zwar so:Auf La Palma nehme ich die Sterne in den Fokus, zum Beispiel Sirius, einen der hellsten. Bei Langzeitbelichtungen entsteht die Linie durch den Stern und durch die Bewegung meiner Hand: Ein mit dem Stern gezeichnetes Bild. Außerdem mache ich viel abstrakte Fotografie, indem ich die Dinge aus dem Zusammenhang rausnehme, so dass keiner mehr weiß, was das eigentlich ist. Das mache ich, um die Phantasie wieder zur Geltung zu bringen, die wird ja durch die Milliarden von Fotos auf der Welt immer stärker eingeschränkt finde ich.Phantasie verknüpft mit teils harten Realitäten zeigte Helmut Kiesewetter auch bei den zeit seines Künstlerlebens entwickelten Installationen. In den 1990er-Jahren beispielsweise war er an der Berliner Volksbühne als Dramaturg und Ideengeber des Obdachlosen-Ensembles Ratten07 tätig, wofür es 1995 den Förderpeis der Akademie der Künste gab. 1996 bündelte er seine Erfahrungen mit Menschen ohne festen Wohnsitz in der Eis-Installation Helpi, Kalle und Lampi – Trier minus 37 Grad. Diese Arbeit zeigte er in einer Gruppenausstellung in der Tuchfabrik in Trier. Dabei fror er Kleidung und Schuhe der drei Obdachlosen Helpi, Kalle und Lampi in einer großen Wanne ein, wodurch der Eindruck entstand, dass hier ein Körper in Eis liegt. Helmut Kiesewetter erklärt, wie er auf diese Idee kam:Kurz vor der Ausstellung sind in Trier drei Obdachlose erfroren. Mit meiner Installation wollte ich die zwischenmenschliche Kälte thematisieren, die so etwas zulässt. Bezeichnend war dann auch, dass den Obdachlosen Triers bei der Ausstellungseröffnung der Zutritt verweigert wurde, obwohl ich sie eingeladen hatte. Aber dann habe ich eingegriffen, und sie kamen jeden Tag. Für mich war das sozusagen ein künstlerischer Tauprozess als Gegenkraft zu struktureller Gewalt, Macht und sozialer Kälte. Außerdem bin ich grundsätzlich der Meinung, dass Kunst für alle da sein muss und kein elitäres Ding ist.Diese Botschaft überbrachte Helmut Kiesewetter mit ähnlichen Eis-Installationen in Rom und im australischen Pearth. Die Welt als Gefängnis darstellen wollte er dann mit seiner Installation Hört auf bei der sogenannten „Weltausstellung“ im Von der Heydt- Museum in Wuppertal. Hier zeigte er in einem Swimmingpool Videos von je einer Haftanstalt auf jedem Kontinent in der Abenddämmerung. Für die Arktis filmte er einen schmelzenden Eisberg, weil es dort zu diesem Zeitpunkt noch kein Gefängnis gab. Es stellt sich die Frage, ob das zu einem abstrakten Künstler passt. Helmut Kiesewettersagt ja:Mich interessiert die Wirklichkeit sehr stark, obwohl ich abstrakt arbeite. Durch die Materialien und meine Installationen versuche ich diese Wirklichkeit zu reflektieren. Bei meiner Ausstellung in der Sala O´Daly in Santa Cruz de La Palma vor ein paar Jahren hatte ich zum Beispiel eineinhalb Tonnen Salz zu einem Kegel aufgeschichtet. Die kristalline Struktur des Salzes korrespondierte mit der äußerst plastischen Oberflächenstruktur meiner Bilder und holte so ein Stück des wichtigen Lebensguts von La Palma - nämlich das Meersalz aus Fuencaliente - in die Ausstellung.Helmut Kiesewetter kennt die Isla Bonita gut, denn er lebt und arbeitet seit langem zweimal drei Monate im Jahr auf La Palma. Seine Begeisterung für die Kunst entdeckte er übrigens schon als Knirps in Thüringen beim Modellieren mit Schnee. Im Alter von neun Jahren floh Klein-Helmut mit seiner Familie in den Westen, mit zehn Jahren sah er das Dürer-Selbstporträt und begann bewusst zu zeichnen, mit 13 stand für ihn fest, dass er Maler werden will. Kiesewetter war in den 1960ern in der Studentenbewegung aktiv, verweigerte den Wehrdienst und studierte ab 1971 an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er nachhaltig von Joseph Beuys geprägt wurde. Nach dem Staatsexamen ging er in den Schuldienst, 1992 begann seine künstlerische Karriere mit der ersten Einzelausstellung. Inzwischen hat er seine Werke schon in aller Welt gezeigt, darunter eine von den Russen begeistert gefeierte Ausstellung 2015 in St. Petersburg. Und warum zieht es Sie immer wieder nach La Palma zurück, Herr Kiesewetter?Das Licht spielt auf La Palma eine wesentliche Rolle, es ist großartig. Ich male im Freien in meinem Haus in Tazacorte und beziehe die verschiedenen Lichtstrahlungen des Tages mit ein. Weil es auf La Palma keine Luft- und Lichtverschmutzung gibt, kommen die Farben hier reiner zur Geltung, dadurch kann man hier als Maler die Bilder sehr fein steuern. La Palma ist aber auch deshalb so großartig, weil es so vielfältig ist. Man spürt die Energie des Vulkanischen der Insel.Mehr Informationen über Helmut Kiesewetter sowie Kontaktdaten gibt es auf seiner Internetseite.Aktuell: Tazacortiale 2019 - das Programm
Parallel zur Berlinale in der deutschen Bundeshauptstadt: Noch bis zum 14. Februar 2019 geht in der Casa de la Cultura in Tazacorte die eingangs von Helmut Kiesewetter erwähnte Tazacortiale über die Bühne, die heuer im Zeichen der Arbeit von Ingmar Bergman steht. Folgende Streifen des schwedischen Regisseurs stehen auf dem Programm und werden in deutscher Sprache gezeigt: 7.2. Das siebente Siegel, 8.2. Wilde Erdbeeren, 9.2. Das Schweigen, 10.2. Persona, 11.2. Szenen einer Ehe, 12.2. Herbstsonate, 13.3. Fanny und Alexander, 14.2. Auf der Suche nach Bergman – Margaraete v. Trotta. Weitere Auskünfte unter info@kunstraum-la-palma.de – Anmeldungen sind diesmal nicht erforderlich, da der Raum in der Casa de la Cultura sehr groß ist.Von La Palma 24
Lieber Helmut,
irgendwie erreiche ich dich via E-mail nicht – vielleicht auf diesem Wege !!
Herzliche Grüße
Matthias Rieger