Vom kanarischen Piepmatz zum Superstar
Johann Wolfgang von Goethe hatte einen Vogel. Genauer gesagt: einen Kanarienvogel. Zu Lebzeiten des deutschen Dichters im 18. Jahrhundert waren die gefiederten Sänger nur für gutbetuchte Bürger und Adlige erschwinglich, heute ist der „Serinus canaria forma domestica“ nach dem Wellensittich der meistgehaltene Flattermann in deutschen Wohnzimmern. Seine Heimat: die Kanarischen Inseln, wo das Züchten von Kanarienvögeln ein regelrechter Volkssport ist. Auch auf La Palma kreieren die "Criadores" was das Zeug hält.
Ende November 2012. Im „Recinto Ferial“ in El Paso herrscht tierischer Lärm. Rund 500 Sänger im Federkleid zwitschern im örtlichen Messehaus beim „17. Inselwettbewerb der Kanarienvogelzüchter“ um die Wette. „Im vergangenen Jahr hatten wir circa 1.300 Tiere am Start“, erklärt Marcelino Brito von der „Asociación de Canaricultura 10 de Febrero La Palma“. „Aber heuer war wegen des Wetters ein schlechtes Jahr für Züchter.“ Rund 50 Palmeros sind im Club organisiert und stellen sich mehrmals jährlich den Konkurrenten der Vereine auf Teneriffa, Gran Canaria, Fuerteventura und Lanzarote. Darüber hinaus sind laut Marcelino unzähle „Freie“ am Züchten, einfach so, zum Vergnügen. „Ich habe schätzungsweise 200 Canarios bei mir zuhause in einer Voliere“, erzählt er. Macht das nicht wahnsinnig viel Arbeit? „Ja, man muss schon Zeit aufwenden, etwa drei Stunden pro Tag“, sagt Marcelino im Blick auf seine Vogelschar. Vater aller Züchtungen und Kreuzungen ist der Serinus canaria forma silvestre. Der „wilde Kanarengirlitz“ aus der Familie der Finken flattert mit gelbem Bäuchlein und braun-grauem Gefieder recht hübsch daher, nicht nur auf den Kanaren, sondern auch auf Madeira und den Azoren. Das – und natürlich sein Gesang – fiel den Spaniern in Auge und Ohr, als sie vor mehr als 500 Jahren den Kanarenarchipel – darunter auch die Insel La Palma - eroberten. Schnell fanden die Konquistadoren heraus, dass sich die „Zuckervögelchen“ für viel Geld an Reiche und Herrschende im nördlichen Europa verkaufen ließen und starteten ein gewinnbringendes Geschäft. Dabei exportierten die gewitzten Spanier nur Männchen und sicherten sich so bis Ende des 16. Jahrhunderts ein Handelsmonopol. Doch irgenwann ging ihnen wohl trotz aller Vorsicht das eine oder andere Weibchen durch die Lappen – und damit waren die Tore offen für freie Zucht in der ganzen Welt. „In Spanien wurden drei Rassen kreiert“, berichtet Marcelino Brito. „Der honigfarbene Melado Tinerfeño, der bucklige Giboso Español und der feinfedrige Pluma Lisa Forma Raza Español.“ Die und Vertreter unzähliger anderer Kreuzungen und Selektionen aus aller Herren Länder präsentieren beim Wettbewerb in El Paso ihre Schönheit, werden prämiert und finden natürlich ihre Käufer. „Die Preise bewegen sich zwischen 35 und 125 Euro“, weiß Marcelino und zeigt auf den teuersten Piepmatz: die weiß-flaumige Schönheit Rizado Rizado de Paris. Die weißen Gattungen sind genetisch nicht in der Lage, Carotinoide umzusetzen, mit denen das Gefieder anderer Kanarienvögel bei der Zucht gelb und rot gefärbt wird. Geben die „Criadores“ Melaninfarbe ins Futter, erreichen sie schwarze und braune Effekte im Federkleid der 12 bis 13 Zentimeter großen Winzlinge. Außer mit Schönheit brillieren die „Canarios“ natürlich mit ihrem Gesang. Sie kommen schon mit einem ausgeprägten Hörvermögen zur Welt und geben gleich nach dem Schlüpfen ein erstes zaghaftes „Piep“ von sich. Mit 30 bis 40 Tagen beginnt für den Kanarienvogel das ernsthafte Gesangsstudium. Dieser „Subsong“ geht zwischen dem dritten und fünften Lebensmonat in den sogenannten „plastischen Gesang“ und anschließend in den „Juvenilen Herbstgesang“ über. Jetzt zeigt sich, wer das Talent zum „Superstar“ hat. Besonders begabte Kanaris kommen nun in die „Singschule“, wo sie in einem akustisch abgeschirmten Gesangsbauer den letzten stimmlichen Schliff erhalten. Dort zwitschert ihnen ein sogenannter „Professor“ Strophen vor, die sie lernen und ihr ganzes Leben nicht mehr vergessen. „Der Kanarienvogel hat ein tolles Hörvermögen“, erläutert Marcelino. „Dadurch kann er Tonfolgen unterscheiden, immer neue lernen und wiedergeben.“ Sowohl die Superstars als auch die „Normalos“ sind nach circa 300 Tagen soweit, dass sie mit ihrer Musik die holde Weiblichkeit becircen können. Mit dem sogenannten „Vollgesang“ kriegen sie ihre Herzdame schließlich rum - die Brutsaison kann beginnen! Seine Beliebtheit verdankt das kanarische Stimmwunder aber nicht zuletzt seiner Zutraulichkeit. Der Piepmatz ist neugierig und bei intensiver Zuwendung finger- bis handzahm. Fachleute bezeichnen die niedlichen kleinen Kerlchen deshalb als gute Anfängervögel. Eines sei jedoch unbedingt zu vermeiden: Einzelhaft - Kanarienvögel lieben Gesellschaft! „Man kann Hähne und Hennen zusammensetzen, aber auch zwei Hähne in einer Voliere sind möglich“, informiert Marcelino Brito zwei Besucher der Schau in El Paso. „Vorausgesetzt, die Hähne sind beide erwachsen.“ Weitere Informationen gibt es beim palmerischen Verein der Kanarienvogel-Züchter unter E-Mail britoquintero@gmail.com. Websites: www.canariculturacolor.com und www.criadordecanarios.esVon La Palma 24