Sommer 1978. Weißer Sand, kleine Wellen, Sonne. Der Süden von Gran Canaria. Wohlfühloase. Wir, Erika und ich, beide Jahrgang 1951, treffen auf unsere Reiseleiterin und haben sogleich eine Frage: „Wir haben gehört“, und der Finger zeigt auf einen imaginären Punkt hinter dem Horizont, „Da soll es noch eine kleine Insel geben. La Palma heißt sie wohl.“ „Was wollen Sie da? In der kleinen Hauptstadt gibt es nicht mal eine Diskothek. Und wenn Sie aus dem Haus gehen, nur noch Natur. Was wollen Sie dort?“ Ruhe und Natur? Klingt irgendwie gut, dachten wir zwei.
Herbst 1978. Eines Tages steckt der Winterkatalog von Neckermann Urlaubsreisen im Briefkasten. Raus aus der Folie. Der Katalog öffnet sich von allein an den Mittelseiten. Auf beiden Seiten überwiegt die Farbe grün. Mittendrin zwei Wörter, sieben Großbuchstaben LA PALMA. Wir werden neugierig. Liest sich toll. Der Preis passt auch, aaaber… Ich habe nur noch eine Woche Urlaub. Wir beraten, nur noch eine Woche Jahresurlaub? Eine Woche unbezahlter Urlaub? Die Entscheidung fällt, machen wir! Gebucht! Zwei Wochen Halbpension auf La Palma!
15. Dezember 1978. Eine Chartermaschine bringt uns auf den Flughafen Los Rodeos auf Teneriffa. Ein langer Tag. Warten auf den Anschlussflug.
Ein angekommener Gast zieht eine weiße Spur auf dem Fußboden hinter sich her. Es ist Lackfarbe, die aus seinem Koffer nach außen dringt.
Irgendwie hat sich die Halbe-Liter-Dose im Koffer verselbstständigt. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Vielleicht eine Mark an der Farbe gespart oder Misstrauen gegen die spanische Qualität? Wer weiß.
Auf jeden Fall ärgerlich für die Chica vom Flughafenpersonal, die diese Schmiererei beseitigen muss. Für den Reisenden fast ein kompletter Austausch seines Kofferinhalts. Weiter geht es mit der letzten Maschine des Tages nach La Palma. Das Fluggerät, eine kleine Fokker mit etwa 40 Sitzplätzen. Erika und ich sind die einzigen Ausländer an Bord. Es dämmert schon ein wenig bei der Landung. Eine tolle Stimmung. Die Melodie des Meeres und die von der Abendsonne rot gefärbten Bergspitzen. Ein Taxi fährt uns nach Santa Cruz in das Hotel San Miguel, linker Hand in der heutigen Avenida „El Puente“.
In den nächsten Tagen lernen wir Pedro kennen. Pedro ist 17 Jahre alt, Kellner im San Miguel. Wir freunden uns an. Eines Tages bietet uns Pedro an, mit uns und seiner Freundin in das Restaurant Chipi Chipi zu fahren. Vier Personen im leicht betagten Minicooper. In den Kurven scheuern die Reifen am Radkasten. Wir sind heil angekommen, ohne Havarie. Holzseparees zum Speisen. An den Wänden freche Sprüche. Holzkohlegeruch und der Duft von Gegrilltem zieht in die Nase. Tolle Atmosphäre, tolles rustikales Essen. Auch heute noch zählt das Chipi Chipi zu unseren Pflichtbesuchen.
Wir machen uns auf den Weg zum Strand Los Cancajos, zu Fuß etwa viereinhalb Kilometer. Eine Busverbindung gibt es nicht. Also vorsichtig durch den Tunnel, der als einzige Verbindung von Santa Cruz in Richtung Süden führt. Je eine Fahrspur pro Richtung. Hinter dem Tunnel rechts eine kleine Tankstelle.
Direkt links neben der Fahrbahn schon das Meer. Bei hohem Wellengang heißt es warten bis eine Welle die Fahrbahn überspült hat und dann laufen, sonst gibt es eine Dusche. Gilt auch für die Autos. Anhalten, Welle abwarten, dann Vollgas. An den Kasernen vorbei führt der Weg durch eine kleine Siedlung bergan.
Wir verlassen die nun oben liegende Straße und erreichen die kleine Strandbucht über eine lange Treppe dem heute so genannten alten Teil des Strandes. Die schmale Straße zieht sich weiter bis zum Restaurant El Pulpo. Mehr ist nicht. Der Rest Lavawüste. An den Steilhang des alten Strandes kuschelt sich ein weiteres gemütliches Restaurant, vom Eigentümer „Kiosco“ getauft. Leckere Suppen und frischer Fisch sind im Angebot. Eine Karte gibt es nicht. Man wird von dem Koch in die Küche gebeten, zeigt auf die Fische oder auf den Suppentopf und schon beginnt er mit seiner Arbeit. Das urige Restaurant „Kiosco“ gibt es nicht mehr, fehlt uns irgendwie. Es musste abgerissen werden. Wie wir hörten, fehlte wohl eine Baugenehmigung.
Fünf Uhr morgens. Das Fenster unseres Hotelzimmers steht offen. Leise Musik ist in der Ferne zu hören. Gitarren, Timple, weitere Instrumente.
„Das geht jeden Morgen so, zwei Wochen lang, bis Weihnachten“, klärt uns ein Palmero auf. „Das Beste für die Hauseigentümer, denen sie eine Flasche Brandy in die Hand drücken. Dann hat man seine Ruhe“.
Das mit der Musik interessiert uns. Am nächsten Morgen, es ist wieder gegen fünf Uhr, geht es aus den Federn. Tastend im Dunkeln die Hoteltreppe hinunter.
Aus Sparsamkeitsgründen brennt nachts nur eine spärliche diffuse Notbeleuchtung. Der Nachtportier an der Rezeption ist verblüfft und fragt, wo wir denn hinwollen. „A la musica“, ist unsere Antwort. Das findet er gut. Wir ziehen fast zwei Stunden mit vielen Jugendlichen und Jungerwachsenen und deren Musikbegleitung durch die Straßen. Wir sind berührt und begeistert von der Wohlfühlatmosphäre und den spanischen Weihnachtsliedern. Plötzlich bleiben alle stehen. Brötchenduft dringt aus einem Haus, einer Panadería. Einer der Teilnehmer betritt die Bäckerei und kehrt mit einer großen Tüte voller Brötchen zurück. Auch wir dürfen teilhaben. Als dann aber die Flasche Osborne kreist, lehnen wir dankend ab. Zurückgekehrt zum Hotel, müssen wir klingeln. Der Portier öffnet und empfängt uns mit einer kleinen Taschenlampe, begleitet uns in den Fahrstuhl und führt uns bis zu unserem Zimmer. Die in den Straßen gehörten Lieder kaufen wir auf Schallplatte. Inzwischen digitalisiert, zur Schonung der LP, laufen sie noch heute bei uns in der Weihnachtszeit rauf und runter.
Ein Besuch im Hafen.
Dort, wo heute die Container in der Nähe des Kreisverkehrs am Tunnel stehen, dümpeln vor unseren Augen kleine Fischerboote.
Am Kai große Paletten, voll mit Bananen, zur Verladung.
Das maritime Leben der Ciudad de Teruel, endet im Januar 1980 mit Verschrottung.
Für den Früchtefrachter Delfń del Mediterráneo das gleiche Schicksal im Jahr 2009.
Heiligabend. Wir verbringen die Zeit am Strand „Los Cancajos“. Schwimmen im Meer, anstatt Weihnachtseinkäufen hinterherzujagen. Später in der Dunkelheit sitzen wir im Kiosco und lauschen Weihnachtsliedern, auf der Gitarre vorgetragen. Der Eigentümer bringt uns persönlich zurück ins Hotel. Mit einem weiteren Ehepaar und dem Nachtportier sind wir allein. Nicht ganz, prickelnder Freixenet begleitet uns durch den Rest des Abends bis zum Zubettgehen.
Ein paar Tage später. Die Rückreise naht. Pedro und ich versichern uns, dass wir uns schreiben werden. Ich schenke ihm ein Wörterbuch spanisch/deutsch. Der Abschied fällt schwer, die Sehnsucht bleibt. Die Maschine startet von Los Rodeos/Teneriffa aus in Richtung Hannover. Der Pilot begrüßt alle mit dem Hinweis, sieben Grad in Hannover, nicht so kalt, noch erträglich. Dann über Paris die Durchsage: „Temperatursturz in Hannover. Straßen und Landebahn vereist!“ Bei der Landung werden wir schon mit Blaulicht von Feuerwehr und Rettungsdiensten empfangen. Der Pilot benötigt die Landebahn in voller Länge zum Ausrollen. Alles geht gut aus. Wir rumpeln über die Autobahn nach Hause. Am nächsten Morgen, der Kälteschock. Zwanzig Grad unter Null.
(Fortsetzung folgt)
Gastbeitrag von Helmut Schilling
Helmut Schilling hat über den ersten Urlaub auf La Palma im Jahr 1978 einen Super 8-Film gedreht, den er nun soweit möglich, nachbearbeitet und mit Originalgeräuschen von La Palma versehen hat.
Toller alter Film.Man kann die Entwicklung der letzten 40Jahre erkennen.
Vielen Dank für den sehr schöner Film aus “alten Zeiten”. Das war sicher viel Arbeit, dieses Material zur Freude aller Interessierter neu zu bearbeiten und zu digitalisieren. Am besten gefällt mir das noch so dünn besiedelte, damals tatsächlich noch grüne Aridanetal ohne all die weiß-schmutzigen Plastikzelte.
Der Bericht erinnert mich an meinen 1. Aufenthalt auf La Palma 1981.
Ich war allerdings mit Baby Nils und 2 Freundinnen im La Nao in Puerto Naos.
Wir hatten einen VW Käfer von Chatcho, (Tamanca) gemietet. Ich glaube, das war damals die einzige Autovermietung.
Was für eine herrliche Zeit.
Ich hoffe, es gibt noch weitere Folgen von Helmut Schilling.
Vielen Dank für den tollen Bericht und den sehr interessanten Film. Ich freue mich schon jetzt auf eine Fortsetzung. Wir aben die Insel zwar erst deutlich später kennengelernt, aber die Begeisterung für La Palma war dennoch so groß, dass wir inzwischen 7 Mal dort waren und immer wieder zurückkehren.
Hallo Herr Schilling,
was für ein toller Film!
Freue mich schon auf Teil 2,3,4, etc..
Grüße aus dem RMG
Wenn ich das lese bekomme ich so eine Sehnsucht nach “unserer” Insel. Auch nach mindestens 20 Urlauben wollen wir unbedingt wieder kommen. Hoffentlich klappt es bald wieder.
Ein sehr schöner Bericht, der mich an unser erstes Mal auf La Palma erinnerte. Auch uns hat dieser Virus infiziert und wir kommen immer wieder um jedes Mal etwas Neues zu entdecken!
Vielen Dank für den Bericht und ich freue mich schon auf die Fortsetzung(en)
Danke Herr Schilling
Einfach toll.
Freue mich schon auf den, hoffentlich, nächsten Teil.
Grüße Dieter
Ein toller Film. Bereue es nicht schon früher diese tolle Insel besucht zu haben. Hoffentlich ist es dann wieder möglich für meinen 8. Aufenthalt in can cachos
WOW! Dieser tolle Bericht hätte auch von mir sein können. Ich war ebenfalls 1978 (im September)das erste Mal auf La Palma und habe diesen Urlaub, angefangen von der abenteuerlichen Anreise über Teneriffa bis hin zu den (fast) täglichen Wanderungen nach Los Cancajos – mit tollem Essen in herrlicher Atmosphäre im KIOSCO – fast ganz genauso erlebt. Da kommen beim Lesen ganz, ganz viele schöne Erinnerungen wieder hoch und ich habe jetzt das dringende Bedürfnis, die alten Fotos mal wieder hervorzukramen.
Vielen lieben Dank dafür, und ich freue mich jetzt schon auf die Fortsetzung(en).
Wunderbarer Bericht und Film! Es gibt ja leider nur wenige bewegte Bilder aus dieser Zeit.
Ich hoffe, es gibt für uns noch mehr davon! 🙂
Klasse! Da wird 1978 wieder lebendig, was ansonsten auf unseren Dias ‘eingefroren’ wurde.
Danke für ihre Mühe.