Strahlendetektive des Weltalls
MAGIC heißen die beiden großen Cherenkov-Teleskope des Roque de los Muchachos-Observatoriums auf der Kanareninsel La Palma. Die Riesenspiegel spüren kosmische Gammastrahlen auf, die bei extremsten Prozessen im Universum entstehen. Das La Palma 24-Journal hat sich mit zwei Wisschenschaftlern über die „magischen“ Forschungen unterhalten. Dabei stellte sich Interessantes und ganz Menschliches heraus.
Wenn Dr. Dijana Dominis Prester im Atlantik vor La Palma schwimmt, könnte sie glatt als Meerjungfrau durchgehen. Aber die Schönheit aus Kroatien ist eine gestandene Dozentin für Astrophysik an der Uni Rijeka und arbeitete in den vergangenen Wochen in der Cherenkov-Anlage der 2.200 Meter hoch gelegenen Europäischen Nordsternwarte. Rund 150 Wissenschaftler aus 24 Einrichtungen in neun europäischen Ländern gehören zur MAGIC-Kollaboration, die Abkürzung für Major Atmospheric Gamma Ray Imaging Cherenkov. Und alle wollen mal den Gammakosmos von La Palma aus sichten. Dijana berichtet:Es ist schon ein Kampf, Beobachtungszeit bei MAGIC zu bekommen, die Nachfrage ist bei 150 Wissenschaftlern immer größer als das Zeitangebot. Zuerst einmal muss man Mitglied in der Kollaboration werden, und dafür muss man sich individuell oder als Institution an der Arbeit, Entwicklung und an den Kosten beteiligen. Außerdem muss jeder genau angeben, was und warum er es beobachten will. Ein Komitee entscheidet dann, wer wie viel Zeit bekommt. Aber im Endeffekt arbeiten wir alle zusammen und tauschen unsere Entdeckungen aus. Entdeckt haben das 2003 erbaute MAGIC-1-Teleskop und das nahezu baugleiche, aber technisch in mancherlei Hinsicht verbesserte MAGIC-2-Teleskop aus dem Jahr 2009 schon allerhand. Zum Beispiel Schwarze Löcher in Milliarden von Lichtjahren Entfernung. Auch der Dunklen Materie sind die MAGICs auf den Fersen. Allerdings sehen die Forscher diese Ereignisse nicht mit bloßem Auge, sondern indirekt mit Hilfe der beiden 240 Quadratmeter großen Spiegel, rund Eine-Million-Euro teuren Kameras und jeder Menge Computern. Dijana bringt Licht ins Dunkel:Wir beschäftigen uns mit hochenergetischer Gammastrahlung. Die kommt mit Lichtgeschwindigkeit aus dem Universum und ist nicht sichtbar. Dann prallen diese Photonen in circa acht Kilometern Höhe auf die Erdatmosphäre und beginnen dort, mit den Molekülen der Luft zu wechselwirken. Zu unserem Glück, denn Gammastrahlen sind energiereich und würden die Menschen töten. So aber entstehen ungefährliche Teilchenschauer – und die fangen wir mit den MAGIC-Teleskopen ein. Aber das ist noch lange nicht alles, was die zwei im Abstand von 85 Metern erbauten Teleskope im Zusammenspiel können, so Dijana:Weil die ankommenden Teilchen sehr schnell sind, entstehen blaue Blitze, die nennt man Cherenkov-Licht, und deshalb heißen auch die Teleskope so. Aber selbst dieses Licht ist fürs menschliche Auge unsichtbar, deshalb detektieren die Kameras in jedem Teleskop die von den Spiegeln reflektierten Blitze. Dann werden diese Impulse von unseren elektronischen Systemen verarbeitet. Durch Programme und Simulationen auf dem Computer können wir nun rekonstruieren, welche Teilchen herabgekommen sind, für uns uninteressanten Hintergrund aussortieren und schlussendlich erkennen, aus welchem Teil des Alls und mit welcher Energie die Gammastrahlen gekommen sind. Klingt so, als ob die Gammastrahlen-Detektive in der Kontrollzentrale gemütlich vorm Bildschirm sitzen und Kaffee schlürfen. Aber mitnichten! Ihr Job kann ganz schön anstrengend und herausfordernd werden, denn die Technik macht wie überall schon mal Zicken. Dann klettern die Forscher wenn´s klemmt selbst in das riesige Skelett der Teleskope – auch Dijana bewies ihre Schwindelfreiheit schon in einem Höheneinsatz. In diesem Zusammenhang erinnern wir uns auf La Palma an den Unfall beim Bau von MAGIC 2, bei dem 2008 der deutsche Physiker Florian Goebel abstürzte und ums Leben kam. Ihm zu Ehren heißt die MAGIC-Anlage inzwischen Florian-Goebel-Teleskop. Seither sind die Sicherheitsmaßnahmen, an die sich die Forscher halten müssen, sehr streng. Damit ein solch tragisches Ereignis nicht mehr geschehen kann, gibt es auch technisches Personal im IAC-Observatorium auf dem Roque. Einer von drei ständigen Mitarbeitern ist Javier Herrera:Die Teleskope müssen zu 100 Prozent arbeiten, dafür sorgen wir. Und ich muss sagen, wir haben bei MAGIC den besten Standard und die beste Technologie der Welt. Dies sichern die Techniker zum einen, indem sie Fehler in der Hardware der Rechner und zum anderen Probleme in den Teleskopen beheben. Im letzteren Fall ziehen wir Helme auf und eine Sicherheitsausrüstung an und suchen den Fehler vor Ort. Da kann etwa eine Kamera defekt sein, oder nach einigen Jahren Nutzungsdauer müssen zum Beispiel die Spiegel ausgetauscht werden. Schäden entstehen oft durch das raue Wetter auf dem Roque. Bei Schneefällen im Winter sind wir auch vor Ort, dazu haben wir ein Allrad-Fahrzeug. Und natürlich können wir Techniker bei Notfällen nicht einfach „Feierabend“ machen und nach Hause fahren.Der „Feierabend“ ist in der Astronomen-Branche sowieso relativ. Denn sie sind logischerweise Nachtarbeiter. Dijana berichtet, dass die Forscher während ihres La Palma-Aufenthalts alles andere als Urlaub machen:Es ist anstrengend, wir fangen nachmittags an, und wenn die Sonne aufgeht, gehen wir in unsere Unterkünfte auf dem Roque und schlafen. An den Strand können wir höchstens, wenn es etwa bei Vollmond nachts zu hell für Messungen ist. Die Arbeit wird unter den vier im Durchschnitt anwesenden MAGIC-Mitarbeitern geteilt, jeder hat seine Aufgabe, wobei wir immer nur eine gewisse Anzahl von Stunden und viele interessante Quellen haben.Nicht nur der Job an sich fordert viel, auch das ständige Reisen zehrt an der Substanz – und obendrein an den Beziehungen der Wissenschaftler. Dijana erzählt von sich und ihren Kollegen:Das ist die andere Seite unserer Arbeit, es gibt einen großen Wettbewerb um Stellen in der Astrophysik. Wenn in einer Ehe oder Partnerschaft beide Physiker sind, ist es ganz schwierig, eine Stelle in der gleichen Stadt oder sogar auf dem gleichen Kontinent zu bekommen. Ich kenne Ehepaare, die sehen sich nur auf Konferenzen. Ich und mein Mann, der auch Physiker ist, haben Glück gehabt und beide Arbeit in Rijeka gefunden. Aber es gibt viele Wissenschaftler, die geschieden sind, denn nicht jeder Partner bringt Verständnis für die Reisen und langen, unorthodoxen Arbeitszeiten auf. Dijanas 26jähriger MAGIC-Kollege hat damit keine Probleme. Voller Begeisterung zählt er, was aus dem dem Deep Space des Gammakosmos auf unseren blauen Planeten herabrieselt. Till Steinbring, Astrophysik-Doktorand an der Uni Würzburg:Wir sind den höchsten Energien des Universums auf der Spur. Es bleibt für mich immer eine super Erfahrung, ich will immer wieder hierher. Hier bietet sich für Astronomen eine einmalige Gelegenheit Daten zu sammeln. Jede Theorie muss durch Daten bestätigt oder falsifiziert werden. Das ist Physik. Für mich ist Physik die Wissenschaft des Messens, Zählens und Verstehens.In Sachen Theorie und Praxis betont Till gleichzeitig, dass die Erforschung hochenergetischer Gammastrahlen mehr als Lustwandeln im wissenschaftlichen Elfenbeinturm ist:Was wir machen, mag zunächst so aussehen, als handele es sich um etwas, das nur für uns etwas bringt. Das ist aber nicht der Fall. So stammen zum Beispiel die 1969 entwickelten CCD-Chips, die heute in jeder Digitalkamera und in Fotohandys stecken, aus der Physik.CCD steht für „Charge-coupled Device”. Neben diesen lichtempfindlichen elektronischen Fotografie-Elementen hat die Gammastrahlen-Astronomie noch mehr Erkenntnisse zum Wohle der Menschheit hervorgebracht. Dijana betont, dass sich die kostspieligen MAGIC-Beobachtungen lohnen:Viele sagen: Hör mal zu, soll man das ganze Geld ausgeben, damit die Leute Spaß haben, schwarze Löcher zu entdecken? Ich sehe das so: Auf der einen Seite ist es wichtig, das Universum zu verstehen, aber wir bahnen gleichzeitig den Weg für humanitäre Errungenschafen wie etwa den PET-Scanner. Diese Apparate zur Krebs-Früherkennung haben viele Leben gerettet und wurden von Gamma-Astronomen entwickelt. Um das Cherenkov-Licht zu sehen, mussten wir hochempfindliche elektronische Instrumente entwickeln, die einzelne Teilchen erwischen.Diese Forschungsresultate stecken heute in der „Positronen-Emissions-Tomographie“ – kurz PET. Ansonsten veröffentlichen die MAGIC-Wissenschaftler ihre Ergebnisse in renommierten Fachzeitschriften wie „Science“, damit sie allen Interessierten offen stehen. Was sie in jüngster Zeit Neues über die unendlichen Weiten des Alls herausgefunden haben, dürfen Dijana und Till jetzt nicht verraten, nur dass sie etwas entdeckt haben. Den Grund erklärt Till:Wir können nicht einfach etwas publizieren. Erst müssen die Erkenntnisse einen sogenannten Referee-Prozess durchlaufen, der Monate dauern kann. Dabei kontrollieren die Gutachter, die nicht MAGIC-Mitglieder sind, ob alles seine Richtigkeit hat, damit kein „Schrott“ veröffentlicht wird. Apropos Schrott: Läuft die Erde Gefahr, von einem Gammastrahlen-Blitz in Schutt und Asche gelegt zu werden? Dijana und Till sind sich einig:Nein, denn die von uns beobachteten Gammastrahlen treffen zunächst auf die Atmosphäre und reagieren dort mit den Molekülen. Die Teilchen, die uns dann noch erreichen, haben sehr viel geringere Energien.Außerdem hat das, was im MAGIC ankommt, schon ein paar Jährchen auf dem Buckel. So gesehen sind Diana und Till quasi die „Archäologen“ des extremen Himmels:Die Strahlung, die wir heute messen, ist oft schon in der Kindheit des Universums emittiert worden, und erst jetzt kommen die Signale auf die Erde. Wir sind Zeuge der Geschichte des Universums – und da gibt es noch viel zu tun. Das La Palma 24-Journal bedankt sich bei Dijana und Till und der MAGIC-Kollaboration und wünscht ihnen noch viele „magic moments“.Von La Palma 24