30 Jahre Ödi auf La Palma - Splitter aus der "guten alten" Zeit
Das Musikhaus steht zum Verkauf –
der Herbergsvater erinnert sich an schöne Jahre
Ödi geht demnächst in Rente. Warum uns das einen Beitrag wert ist? Nun, Hans Richard Jonitz gehört zu den Urgesteinen unter den La Palma-Auswanderern und hat in seinen 30 Jahren auf der Insel als Musiker in verschiedenen Bands sowie als Vorstand im Verein der Opernfreunde ACAPO das kulturelle Leben ein Stück weit mitgestaltet. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit seiner Pension „Musicasa“. Die will Ödi jetzt verkaufen und dann mit einem Wohnmobil durch die Welt tuckern. Wir sind mit dem Rock-Barden durch sein „musikalisches Haus“ gegangen – und das war gleichzeitig ein Streifzug durch die jüngere Geschichte der Isla Bonita.
Vom Lastwagenverkäufer im Schwabenland zum Herbergsvater auf den Kanaren: Im Juni 1988 machte Hans Richard Jonitz zum ersten Mal auf La Palma Urlaub, hatte dabei schon Auswandergedanken im Hinterkopf, aber noch keinen konkreten Plan. Dann traf ihn Amors Pfeil mitten ins Herz, denn er verliebte sich Hals über Kopf in die schöne Insel. Schon wenige Wochen nach dem Ende seiner Ferien kehrte Ödi zurück, diesmal mit Sack und Pack:Im Juli 1988 habe ich meinen alten Peugeot startklar gemacht und bin über Cádiz mit der Fähre hierhergekommen. Und da habe ich rasch die heutige Musicasa entdeckt, weil ich auf dem Weg nach Puerto Naos immer an dem Haus vorbeigefahren bin. Da hing ein Schild „se vende“ – also zu verkaufen –, und ich dachte mir, das wär´s, aber auch, das große Haus kannst du dir bestimmt nicht leisten... Doch dann sagte ein Bekannter, er kenne den Verkäufer. Mir war klar, dass viele Sachen im Leben so laufen: Man kennt einen, der einen kennt, und der kennt wieder einen, und dann schwätzt man, und dann sieht man schon (lacht). Und so war´s dann auch: Ich habe mich mit dem Verkäufer hingesetzt, noch ein bisschen was am Preis gemacht, und dann bin ich kurz zurück nach Deutschland und habe zugesehen, dass ich mit Hilfe der Familie, der Bank und der Bausparkasse Wüstenrot das Geld zusammenbekam. Dank Unterstützung aller und dem 624 Mark-Gesetz wurde Ödi stolzer Besitzer eines neun Ar großen Grundstücks mit einem knapp 190 Quadratmeter großen Gebäude. Sein erster Plan, darin zusammen mit einem Freund eine alternative Kneipe mit Kleinkunstbühne zu eröffnen, scheiterte: Der Kumpel bekam kalte Füße. Aber Ödi hatte eine Erleuchtung:Nach einer schlaflosen Nacht – und das ist selten – kam mir die Idee, Zimmer zu vermieten, ein nettes Frühstück anzubieten und ab zu was zu kochen. Denn mir fiel plötzlich ein, dass es auf der Insel zwar ein gutes Übernachtungsangebot für Paare und Familien gab, aber für Alleinreisende und Gruppen war überhaupt nicht vorgesorgt. Gedacht - getan: Doch zuerst hieß es, die Ärmel hochzukrempeln und die einstige Bruchbude zu renovieren, was Hans Richard als schwäbischem Häuslesbesitzer nicht schwer fiel. Seine Liebe zum Detail ging sogar soweit, dass er am Terrasseneingang ein schwarz-weißes Mosaik mit dem Bart seines Rockidols Frank Zappa legte. Jahre später postete er ein Foto davon im Internet, woraufhin die Frau des inzwischen verstorbenen Musikers bei Ödi anrief und fragte, ob sie es auf der Zappa-Homepage veröffentlichen dürfe – natürlich durfte sie. Aber zurück ins Jahr 1988, als noch niemand etwas vom World-Wide-Web ahnte, und auch die vielen Baumärkte auf La Palma von heute noch Zukunftsmusik waren. Ödi erinnert sich an so manche Imponderabilie bei der Renovierung:In den Bauhandlungen gab es zwar immer Zement, aber nur zwei- oder dreimal im Jahr Kalk in 10-Kilo-Tüten. Wenn der Container kam, hat sich das sofort rumgsprochen und alle Albañiles – also alle Maurer – sind losgeprescht, um sich ein paar Pakete mit Kalk zu sichern. Damals gab´s in den Ferreterias nicht viel mehr als Nägel, Hämmer, Sägen, Schubkarren, Hohlblocksteine und Zement – im Vergleich dazu hat sich das Angebot heute um 90 Prozent erhöht. Soviel zur Gebäudesanierung. Bei der Einrichtung der Musicasa hatte der angehende Herbergsvater ebenfalls mit allerhand Unwägbarkeiten zu kämpfen. Denn auch Möbelgeschäfte waren vor 30 Jahren auf La Palma Mangelware, und die heute bei Apartment-Vermietern so beliebten Billys und Malms aus Schweden noch in weiter Ferne, berichtet der Bauherr:Es war grauenhaft: Es gab zwar einen Laden mit wunderschönen Einrichtungen, aber die waren unbezahlbar. Und andere Geschäfte hatten den kanarischen Kiefer-Barock im Sortiment, der wirklich zum Davonlaufen ist. Also bin ich zu einem Schreiner, und der kam und war super-freundlich und hat alles ausgemessen... aber dann kam er nimmer. Das war ein Drama für mich, denn die ersten Gäste hatten sich angekündgt, und es waren keine Möbel in den Zimmern. Ich fuhr zum damals noch alten Flughafen in Breña Alta und holte meine Urlauber ab, wobei ich dachte, die müssen jetzt halt auf der Matratze schlafen. Aber als ich zurückkam, hatte der Schreiner das Bett aufgebaut – just in time. Getreu dem palmerischen Tranquilo-Motto füllte sich die Musicasa nach und nach mit Möbeln – und recht schnell mit Gästen. Das WG-Konzept von Ödi ging auf, von Anfang an gab es viele Urlauber, die kein Problem mit Gemeinschaftsbad und Küche für alle hatten. Im Gegenteil, berichtet der seit 30 Jahren erfolgreiche Vermieter:Am Anfang kamen natürlich erstmal Freunde, Bekannte und Verwandte. Die waren alle neugierig und wollten sehen, was ich so mache auf der Insel im Atlantik. Und die haben´s zuhause weitererzählt – Mund-zu-Mund-Propaganda war und ist bis heute meine beste Werbung, denn sie ist einfach ehrlich. Denn Leute, die bei mir eine gute Zeit verbringen, erzählen das daheim mit Begeisterung. Inzwischen habe ich mehr als 50 Prozent Stammgäste, das zeigt ja, dass an dem WG-Konzept bis heute was dran ist. Hier kommen Urlauber her, die mit anderen klarkommen, die gerne mit anderen an einem Tisch sitzen und miteinander reden und abends zusammen Spaghetti kochen. Viele machen dann auch miteinander Ausflüge oder gehen tauchen oder radfahren, oder was man auf La Palma halt so macht. Und ich nehme sie abends mit auf Konzerte oder samstags mit zum Fußball.Auch morgens ist Ödi für seine Gäste da. Nachdem diese in den Motto-Zimmern genächtigt haben, die im Zappa-, Beatles-, Klassik-, Afrika- und Atlantik-Look eingerichtet sind, sitzt der Chef beim optionalen Frühstück mit am Tisch und plaudert aus dem Nähkästchen seiner reichen Isla Bonita-Erfahrung. Und der eloquente Mann gibt nicht nur Tipps für die Ausflugsgestaltung, sondern erzählt auch gern mal die eine oder andere La Palma-Anekdote zur Stärkung der Lachmuskeln:Also, das war 1989 oder 1990, und wir waren am Strand in Puerto Naos. Da kamen plötzlich zwei Polizisten und sagten, wir müssten jetzt den Strand räumen - aber nicht, warum. Na gut, dachten wir, vielleicht kommt ja der König? Also haben wir uns in die Nao-Bar gesetzt und Kaffee bestellt, während zwei Guardia Civil-Beamte und zwei weiß-blaue Municipales Holzpflöcke in den Boden hauten und von der Strandpromenade bis ans Meer ein Absperrband spannten, damit da auf gar keinen Fall mehr einer weiterging. Wir saßen da und wussten immer noch nicht, was geht. Und dann kam unser Getränk. Und dann machte es auf einmal karawummmmm! Und dann sahen wir, wie das Gerippe vom alten Hotel in die Luft flog. Der Sprengmeister war entweder ein Laie oder ein Fanatiker, der sehr viel Spaß an seinem Job hatte. Auf jeden Fall sind uns die Betonbrocken um die Ohren gepfiffen, überall war alles voll mit Bröckeln. Die Polizisten waren natürlich in heller Aufregung und haben geguckt, ob alle noch leben. Wie durch ein Wunder ist niemand was passiert. Am Horizont war eine Riesenstaubwolke, und dann war´s Hotel weg. Schade, dass das keiner gefilmt hat. Heute gäbe es bestimmt 100 Handy-Videos darüber... Apropos Telefonieren – man ahnt es schon: Auch das war auf La Palma vor 30 Jahren eine echte Herausforderung. Ödi nahm die Challenge an, denn als frischgebackener Pensionschef musste er ja mit seinen Gästen kommunizieren:Mir wurde gesagt, geh zur Telefonica und beantrage einen Anschluss. Ich dachte, okay, das ist wie in Deutschland und bin nach Los Llanos ins Büro der Telefongesellschaft. Aber als ich sagte, dass ich in Las Norias wohne, waren in dieser Gegend alle Nummern vergeben, und es hieß, ich müsse warten, bis ein neues Verteilerhäusle gebaut werde, das könne allerdings ein bisschen dauern. Unterm Strich waren das dann zweieinhalb Jahre. Es gab ja keine Handys und kein Internet, also habe ich Briefe geschrieben. Zum Glück war da damals die Autovermietung von Erika und Julio in La Laguna, und ich durfte deren Telefonnummer an meine Gäste weitergeben. Und wenn die in La Laguna angerufen haben, wurde ein Zettel mit den Informationen geschrieben, der wurde dem Pepe gegeben, und der ist zu mir in die Musicasa gekommen. Dann bin ich nach Todoque gefahren, wo eine Telefonzelle stand, habe meine 100-Peseten-Münzen eingeworfen und mit meinen Gästen gesprochen.Ja, schön war die „gute alte Zeit“. Als es im Supermarkt noch nicht mal Sahne gab, sondern nur Pulver aus Dänemark der Marke Clop-Clop. Als noch kaum Autos über die Insel kutschierten, dafür aber unzählige röhrende Mopeds, jedoch keine Fahrräder. Ödi blickt augenzwinkernd zurück:Meine allererste Putzfrau in der Musicasa, die Ángeles aus Todoque, kam eines Tages zu mir und sagte ganz aufgeregt: „Ödi, Ödi, da sind gerade zwei ganz, ganz arme Urlauber am Haus vorbeigekommen“. Ich fragte sie, wie sie darauf käme, ob die Touristen so schäbig angezogen gewesen seien? Und Ángeles antwortete mir: „Nein, die tun mir so leid, weil sie sich nicht mal einen Mietwagen leisten können – die waren mit dem Fahrrad unterwegs!“ Als ich ihr erklärte, dass es sich um Mountainbike-Fahrer handelte, und die Sporträder ein paar tausend Mark teuer seien, konnte sie es nicht fassen.Fast ein drittel Jahrhundert ist seitdem ins Land gegangen. Und unzählige Gäste haben bei Ödi schöne Ferien verbracht. Sogar Promis aus dem Musik- und Fußballgeschäft logierten schon in der Musicasa. Die meisten waren und sind jedoch „ganz normale“ Leute, oft auch mit Kindern, die hier die familiäre Athmosphäre genießen und von den Feiern an Weihnachten, Silvester und Karneval oder von Ödis legendärer Paella mit Meeresfrüchten schwärmen. Für die Stammkunden ist es wohl eine bittere Nachricht, dass ihr Herbergsvater in Rente gehen will. Aber vielleicht findet Hans Richard ja einen Käufer, der den Betrieb weiterführen will:Die Musicasa ist eine gut laufende Pension. Falls jemand das Konzept weiterverfolgen will, stehe ich natürlich mit Rat und Tat zur Verfügung. Ich würde einen eventuellen Nachfolger über Monate einlernen und später auch mal als Urlaubsvertretung einspringen. Ich will zwar nach dem Verkauf mit dem Wohnmobil mir noch nicht bekannte Ecken der Welt erkunden, aber mein Wohnsitz bleibt auf La Palma, und ich werde oft da sein. Selbstverständlich würde sich die Musicasa aber auch als Wohnhaus oder beispielsweise als Arztpraxis oder Fahrradladen eignen. Die Lage an der Straße nach Puerto Naos hat den Vorteil, dass man das Haus auch gewerblich nutzen kann - und dass die Gäste zu Fuß zur Bushaltestelle gehen können. Der Straßenverkehr nimmt nachts ab und stört kaum, und wenn man ein bisschen in die Zukunft denkt und auf den Einzug von E-Autos auf La Palma hofft, dürfte das in den nächsten zehn Jahren immer besser werden. Wer sich für die Musicasa interessiert, findet noch mehr Infos und alle Kontaktdaten auf meiner Internetseite.Lieber Ödi, wir danken fürs Gespräch und drücken die Daumen, dass Du bald mit Deinem Wohnmobil auf Achse gehen kannst.Von La Palma 24