„Der Nikolaus macht Urlaub auf La Palma!“ Das sagen Leute, die fasziniert zuschauen, wie Dr. Wolf-Dieter Storl an der Playa Chica in Puerto Naos in den Atlantik hüpft. Kein Wunder: Weiß wallen Bart und Dreadlocks, die Badehose leuchtet rot, und im Gesicht des wohlgenährten 76-Jährigen zeigt sich stets ein gutmütiges Lächeln. Richtig ist: Wolf-Dieter Storl urlaubt regelmäßig auf der Isla Bonita, außerdem hat er durch Auftritte in deutschen TV-Talkshows einen gewissen Promistatus. Er spielt zwar nicht in der weltweiten VIP-Liga wie Santa, aber die mehr als 30 Bücher des Kulturanthropologen und Ethnobotanikers sind in vielen Ländern Longseller. Jetzt gibt es auch ein Werk über Pflanzen von der Isla Bonita.
Wolf-Dieter Storl: Der „Nikolaus“ mit der
grünen, wilden Seele urlaubt oft auf La Palma
Schaue, das Wunder – mit Wolf-Dieter Storl durchs Jahr 2018 heißt das Buch mit knapp 90 Fotos von Pflanzen der Isla Bonita. Die Kladde ist zwar als Kalender aufgebaut und 2018 fast rum, aber das macht nichts. Die Beschreibungen der Gewächse sind zeitlos, und die aus 100 Prozent Recyclingpapier gemachten Seiten für Notizen können immer gefüllt werden. Den Kalender, der eigentlich keiner ist, gibt es auf der Insel bei Buffy Deffner, denn Wolf-Dieter Storl hat ihr einen ganzen Stapel geschenkt. Nun verkauft sie die Bücher ganz im Sinne des „grünen“ Autors für zehn Euro pro Stück und überweist das Geld in die Kampfkasse der Bürgervereinigung gegen Asphaltwerke im Aridanetal, genannt Plataforma. Wolf-Dieter hat sein Wunder-Schauen mit Blick auf die Zielgruppe der Urlauber auf La Palma geschrieben, allerdings finden sich darin Infos, die so mancher langjährige Insulaner nicht kennen dürfte:Ich wollte Touristen den Blick für die Pflanzen am Wegesrand öffnen. Dabei ging es mir vor allem um tropische und subtropische Gewächse aus aller Welt, die hier als Zier- oder Nutzpflanzen eingeführt wurden. Es tut gut, sie näher kennenzulernen, denn indem man sie kennt und wiedererkennt, wird der Ort, an dem man sich befindet, vertrauter. Die Fotos hat meine Tochter Ingrid Lisa in nur drei Wochen auf La Palma aufgenommen. Mitten im Winter! Während in Mitteleuropa die Erde unter einer Schneedecke schläft oder die Landschaft ein graues und frostiges Gesicht zeigt, blüht und fruchtet es auf den Kanaren. Auf die Isla Bonita kam Wolf-Dieter Storl, der ansonsten mit seiner Frau auf einem Einödhof im Allgäu lebt, über Umwege. Zuerst reiste er in den 1990er-Jahren nach La Gomera und besuchte einen Hippie-Freund:Hky Eichhorn hauste dort in einer Höhle und schrieb mir, dass es auf dieser Kanareninsel zwei Meter große Löwenzahnpflanzen mit holzigen Stängeln gäbe. Ich dachte mir, das ist doch Quatsch, aber ich wurde neugierig. Und so flog ich nach einem arbeitsreichen Winter erstmals auf die Kanaren und fand den vermeintlichen „Löwenzahn“. Der war allerdings eine endemische Gänsedistelart namens Sonchus. Aber egal: Dieser Besuch hat mir die Augen für die vielfältige, bunte Welt der kosmopolitischen Vegetation auf den Inseln der Glückseligen geöffnet. Ich habe auf La Palma auch schon Seminare abgehalten, aber im Prinzip komme ich hierher, um Kraft aus dem Meer zu schöpfen. Mich ärgern nur immer die Rettungsschwimmer, die mich bei hohem Wellengang rauspfeifen. Die Socorristas können ja nicht ahnen, dass sich der 76-Jährige mit den Ozeanen dieser Welt auskennt. Schon als Kind lernte Wolf-Dieter die Tücken des Pazifiks beim Schwimmen und Surfen in Kalifornien kennen. Denn als Elfjähriger wanderte er mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten aus, wo er später Botanik an der Ohio State University studierte. Doch das ödete den Naturburschen bald an:Der Laborbetrieb war mir zu tot. Das hätte meinen Zugang zu den Pflanzen als älteste Lebewesen der Welt zerstört, so kommt man nicht mit dem Wesen der Pflanzen in Berührung. Dann bin ich erstmal eine Weile mit nur fünf Dollar in der Tasche rumgereist und habe mich später entschlossen, an der Kent State University in Ohio Anthropologie zu studieren.Denn Wolf-Dieter Storl wollte nicht nur dem Grünzeugs, sondern außerdem den Menschen und ihrer Entwicklung auf den Grund gehen. Sein anthropologisches Wissen rundete er zum guten Schluss magna cum laude mit einem Studium der Völkerkunde in der Schweiz ab. Aber wie zu erwarten, wurde das Akademische dem wilden Wolf im Storl zu langweilig: Er begann mit seiner Frau durch die Welt zur reisen, forschte vor Ort bei Bauern im Emmental ebenso wie bei Volksstämmen in Indien und Nepal oder bei Indianern in den USA. Wolf-Dieter schildert ein Beispiel:Einmal kontaktierten mich die Cheyenne, weil ihre heiligste Pflanze durch die Zwangsumsiedlungen in Reservate verlorengegangen war. Sie besaßen nur noch ein kleinfingergroßes Stück davon im Stammesmedizinbeutel. Daraufhin habe ich mit Forschen begonnen und bin durch die Big Horn Mounains in Wyoming gewandert. Durch einen alten Reisebericht aus dem Jahr 1840 und die Begegnung mit einem im Wald lebenden Künstler stieß ich schließlich auf das Christophskraut und gab es den Indianern. Die prüften ein Jahr lang, und es stellte sich heraus, dass sie ihre Heilige Pflanze und damit die Verbindung zum Urmedizinmann zurückgewonnen hatten.Diese Studie verdeutlicht, warum Wolf-Dieter Storl „Ethnobotaniker“ genannt wird:In dieser Wissenschaft geht es darum, wie Menschen verschiedener Kulturen mit Pflanzen umgehen und sie sehen. Für die Inder zum Beispiel sind Pflanzen wie Meditierende in der Sonne, die ihre Energie an alle Geschöpfe weitergeben – durch Umwandlung von Kohelndioxid in Sauerstoff und in Form von Nahrung. Durch diese Wechselbeziehung mit dem Menschen sind Pflanzen auch für mich nicht nur botanische Gegenstände. Sie hören nicht an ihrer Peripherie auf, sondern es gibt eine Dimension, die wir mit dem alltäglichen Bewusstsein nicht direkt wahrnehmen können. Für Wolf-Dieter haben Pflanzen eine „kulturelle, sprachliche, heilkundliche und mythologische Identität“. Dies inspirierte ihn zum Verfassen von rund 30 Publikationen. „Schamanentum“, „Ich bin ein Teil des Waldes“ oder „Die Alte Göttin und ihre Pflanzen“ lauten einige der Titel aus dem mythischen Bereich. Der Mann mit dem grünen Daumen hat zudem Sachbücher wie „Die Unkräuter in meinem Garten“, „Heilkräuter und Zauberpflanzen“ oder „Mein Gartenwissen“ herausgegeben. Denn Vieles, was aus der Feder des in Sachsen geborenen Wahl-Allgäuers fließt, basiert auf seiner Arbeit auf der eigenen Scholle im Süden Deutschlands:Das Buch „Mein Gartenwissen“ habe ich geschrieben, weil mich der Verlag Gräfe & Unzer gefragt hat, ob ich etwas über selbstversorgenden Eigenanbau schreiben könnte. Ja, das kann ich. Aus eigener harten Erfahrung weiß ich, welche Heilkräuter und Wildgemüse man sammeln kann, wie man mit einfachen Mitteln einen Gemüsegarten anlegt, pflegt, düngt, und wie man die Ernte verstaut. Da habe ich mich hingesetzt und ein richtig praktisches Buch geschrieben, ohne unnötige Umschweife und Theorien.Im Gesamtwerk finden sich außerdem Bücher über Naturheilkunde, deren Thesen indessen zum Teil nicht unumstritten sind. So stieß das Buch „Borreliose natürlich heilen“ auf Kritik von Ärzten. Dennoch hat Wolf-Dieter einen riesigen Fan-Club. Wohl nicht zuletzt, weil er beim Erzählen so eindrucksvolle Bilder schafft – etwa, wenn er den Dezember beschreibt:Während der Adventszeit ziehen die Geister um; es sind die struppigen Naturgeister und hungrigen Totengeister, angeführt von dem schimmelreitenden Zaubergott oder der wilden Percht. Die Gottheit aus den Tiefen des Waldes oder aus dem hohen Norden wurde im Zuge der Christianisierung zum Sankt Nikolaus, dem Bischof von Myra in Kleinasien, und die Geister, die ihn begleiteten, wurden zum Pelznickel, Hans Trapp, Krampus, Swarte Piet, Polterklaus und anderen rauen Gesellen.In diesem internationalen und völkerverbindenden Sinne danken wir dem „Nikolaus von Puerto Naos“ fürs Gespräch und wünschen ihm weiterhin viel Erfolg! Denn der Autor aus dem Allgäu denkt noch lange nicht ans Aufhören...Alle Werke von Wolf-Dieter Storl findet man auf seiner Internetseite, wo man sie auch bestellen kann. Auf La Palma gibt es den Kalender von Wolf-Dieter Storl bei Buffy Deffner – Telefon: 649.410.085 oder im Büro ihrer Autovermietung in La Laguna zum Preis von zehn Euro. Die Erlöse leitet Buffy an die Plataforma genannte Bürgerinitiative gegen das bereits mit einer Betriebsgenehmigung versehenen Asphaltwerk im Industriegebiet von Los Llanos weiter. Denn im Kampf gegen die Anlage sind Spenden - beispielsweise zur Deckung von Anwaltskosten - immer willkommen. Das La Palma 24-Journal hat darüber schon mehrfach berichtet - hier geht´s zum Gastbeitrag der Plataforma, der schildert, wie alles anfing.Von La Palma 24